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Wenn Frauen sterben wollen

Dienstag, 27. September 2011

Mit „Abendstunde im Spätherbst“ gelangte am Freitagabend seit langem wieder einmal ein Friedrich Dürrenmatt-Stück auf die Tonhalle-Bühne. Ein dramatisches Werk, das dem Publikum wohl gefiel, obwohl es –streng gesehen - eigentlich gar kein Theater war.

CHRISTOF LAMPART

Denn das im Untertitel als „utopische Komödie“ bezeichnete Werk wurde von Friedrich Dürrenmatt als spannungsgeladenes Hörspiel geschrieben. Und genau diese Stärken offenbarte die „Abendstunde“ auch in der dramaturgischen Bearbeitung des „Berliner Kriminal Theater“, welches am Freitag in der nicht ganz ausverkauften Wiler Tonhalle gastierte.

Tödliches Duell

Genau genommen könnte im Titel des Werkes das Wort „Abendstunde“ auch durch das Wort „Duell“ ersetzt werden. Denn nichts anderes als ein solches ist es, was sich während gut eindreiviertel Stunden auf der Bühne in der Hotelsuite des Kriminalromanschriftstellers Korbes (ebenso böse wie bohemienhaft: Ulrich Voss) abspielt. Allerdings verkehren sich im Verlaufe des Abends die Vorzeichen dramatisch. Zu Beginn hat es den Anschein, dass der Besucher (wunderbar spiessbürgerlich als pensionierter Buchhalter: Gerd Melzer) durch stringente Logik den Literaten-Lebemann elegant zur Strecke bringen könnte, indem er diesem nachweist, dass er alle Morde, die er in seinen Romanen beschreibt, selbst begangen hat. Doch dreht Korbes im zweiten Teil des Abends den Spiess um, indem er zuerst die Morde gesteht und danach den Hobbydetektiv kaltblütig auflaufen lässt. Denn wie es sich herausstellt, wollten die mondänen Damen der besseren Gesellschaft von Korbes ermordet werden. Ganz nach dem Motto: Lieber literarisch unsterblich werden, als sich unsterblich im Alltag zu langweilen. In der Nebenrolle als „Mädchen“ (gekonnt plakativ und staffagenhaft: Katharina Lucka)  wurde ein Bild gerade jenes schwärmerischen Frauentypen „gezeichnet“. Es handelte sich bei den Tötungen also demnach nicht um wirkliche Morde, sondern lediglich um die Erfüllung morbider Gefallen. Gegen so eine „Logik“, die jegliches Schwarz-Weiss-Schemata sprengt,   ist der Buchhalter machtlos.  Mehr noch: als ihm aufgeht, dass er selbst in höchster Gefahr schwebt, ist es bereits schon zu spät. Mit vorgehaltenem Revolver zwingt Korbes den Besucher vom Balkon der Penthouse-Suite zu springen.  Und Korbes, der ansonsten unfähig wäre, etwas zu schreiben, hat somit wieder den „Stoff“ für einen nächsten Roman.

Warum keine leere Bühne?

Die Wiler Aufführung (Regie: Ulrich Voss) war packend und mitreissend. Jedoch nicht unbedingt „sehenswert“, denn das Bühnenbild (Ausstattung: Manfred Bitterlich/Requisite: Boris E. Rühl) beschränkte sich im Grossen und Ganzen auf ein grosses Doppelbett, in dem die Protagonisten abwechslungsweise sassen, lagen oder sich sonst wie hinlümmelten. Genau genommen hätte das Stück auch auf eine leeren Bühne funktioniert – vielleicht sogar noch besser – spielten sich doch die „Grausamkeiten“ weniger in den Taten (dass der Buchhalter nicht lebend das Zimmer verlassen würde, war schon ziemlich bald einmal klar), sondern mittels Worten ab. Wie sich die beiden Kontrahenten verbal gegenseitig subtil in die Enge trieben, wie zwei sich belauernde Boxer, war schon sehr hörenswert! Dem Tonhalle-Publikum gefiel das Gehörte und Gesehene auf jeden Fall gleichermassen gut und spendete dem Ensemble einen langen und warmen Applaus, der zweifelsohne verdient war.