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Tribut an einen fast Vergessenen

Montag, 8. Oktober 2012

Hans Roelli, den «Vater des modernen Volksliedes», kennt heute kaum noch jemand. Ein gemeinsames Konzert vom Damenchor und Männerchor Weinfelden sollte das ändern.

CHRISTOF LAMPART

WEINFELDEN. Es war ein stattlicher Chor, der sich auf der «Trauben»-Bühne versammelte, um Hans Roelli (1889–1962) zu gedenken. Der Damenchor und der Männerchor Weinfelden sangen unter der musikalischen Leitung von Rositza Tobler mal alternierend, mal gemeinsam, mal als kleine Besetzung (nämlich als Quartett) insgesamt 22 Lieder Roellis, welche dieser zwischen 1940 und 1962 komponierte.

Ins Abseits geraten

Wie lange Roellis Zeit schon zurückliegt, erkannte man nicht nur an der Tatsache, dass in seinem Todesjahr der weltweite Siegeszug der Beatles begann, sondern auch daran, dass die meisten der rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich im «Trauben» versammelten, schon ergraute Häupter hatten. Anders gesagt: Roellis Schaffen ist der heutigen Generation kaum bekannt, wurde dessen Liedgut, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überaus populär war, doch mittlerweile weitgehend vergessen, sieht man vom Evergreen «Alles fahrt Schi» ab.

Und doch zeigte dieser mit viel Schwung und Liebe zum Detail gestaltete Abend deutlich, dass es sich durchaus lohnte, die ursprünglich nur für Gitarrenbegleitung geschriebenen Lieder Roellis wieder ein wenig nicht nur für den Haus-, sondern auch den Konzertgebrauch zu entdecken. Zumal Lucius Juon die Roelli-Werke mit wunderschönen Begleitmelodien zu Sätzen für gemischte Chöre versehen hat.

Reise- statt Soldatenlieder

Von dieser Vorleistung machten am Freitag die Sängerinnen und Sänger weidlich Gebrauch. Allerdings sangen sie aus dem reichen Fundus der über 1000 Lieder vor allem jene, die man landauf, landab als Roellis Wander- und Naturlieder kennt. «Ein kleines Abendlied», «Wanderweise am Morgen», «Auf der langen Strass'» oder das noch dem einen oder anderen bekannte «Reiselied» gehörten in diese Kategorie.

Nicht gesungen wurden jedoch jene Lieder, für die Roelli vielen Schweizern während des Zweiten Weltkrieges in bester Erinnerung geblieben ist: seine Soldatenlieder. Der ehemalige Kurdirektor von Arosa hatte während des Krieges im Rahmen der Armeesektion Heer und Haus an rund 300 Abenden Lieder für die Soldaten im Aktivdienst vorgetragen.

Alles in allem war es ein sehr gefälliger Abend, der vom Publikum sichtlich geschätzt wurde. Zugleich wurde jedoch deutlich, dass es bis zu einer Roelli-Renaissance in den helvetischen (Schul-)Stuben noch ein weiter Weg sein dürfte. Aber vielleicht wurde ja am Freitagabend in Weinfelden ein erster Schritt dazu getan.