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«Sie haben das Gefühl, sie lebten ewig»: Ein Thurgauer im Kampf für rauchfreie Luft – der Ständerat soll die Reissleine ziehen

Dienstag, 19. Januar 2021

Im Dezember entschied der Nationalrat, dass die Tabakindustrie weiterhin unbegrenzt für Zigarren, E-Zigaretten und neue Tabakprodukte solle werben dürfen. Beim Berlinger Jürg Hurter, der sich seit Jahren für rauchfreie Luft einsetzt, stösst dieser Entscheid auf Unverständnis.

Als Jugendlicher hat Jürg Hurter einmal an einer Zigarette gezogen, es dann aber gleich wieder und für immer sein lassen. «Es schmeckte mir nicht und ich wusste, dass es mir schaden würde, wenn ich es weiter tun würde», erinnert sich der Präsident der Stiftung pro aere, der grössten schweizerischen Stiftung für Passivraucherschutz und für Tabakprävention bei Kindern und Jugendlichen.

 

«Alle Produkte machen abhängig»

Doch obschon Jürg Hurter ein dezidierter Nichtraucher ist und pro aere sich den Interessen der rauchfrei lebenden Bevölkerung – in der Schweiz eine Mehrheit von 75 Prozent - verpflichtet fühlt, verteufele er als liberaler Mensch den Tabakkonsum nicht. Er macht dabei allerdings eine gewichtige Einschränkung:

«Rauchen soll unter anderem dürfen, wer ermessen kann, was er sich und anderen damit antut – und das können Jugendliche oft noch nicht. Sie haben das Gefühl, sie lebten ewig.»

Als «stossend» empfindet der Berlinger deshalb den Entscheid des Nationalrates, welcher zum einen die Tabakwerbeeinschränkungen im Printbereich und im Internet löchrig mache und zum anderen das Tabak-Sponsoringverbot unvollendet lasse. Denn die Einschränkung der Verkaufsförderung soll lediglich und nur teilweise auf Zigaretten angewendet werden.

Nationalrat habe sich «weltfremd» verhalten

Besonders stört ihn, dass der Nationalratsentscheid den Tabakenthusiasten erlaubt, ihr suchterregendes Kraut zukünftig auch an öffentlichen Orten zu «erhitzen» und zu «verdampfen», welche heute rauchfreie Räume sind: zum Beispiel Restaurants. «Das gefährdet das mühsam aufgebaute, friedliche Nebeneinander», sagt Hurter, und erläutert: «Wir wissen heute nicht, wie schädlich das Verdampfen beziehungsweise Erhitzen von Flüssigkeiten und Tabak wirklich ist; die Tabaklobby sagt, dass es weniger gesundheitsschädlich ist als das Rauchen.» Aber gesund sei es wohl kaum.

«Was wir aber garantiert schon heute wissen, ist, dass die Dampfschwaden viele Menschen stören.» Umso mehr empfinde Hurter das Verhalten der Bundesparlamentarier weltfremd. Er ärgert sich:

«Eine solche Politik, die nur das Wohl der eigenen Klientel im Auge hat und nicht das Wohl der Gesellschaft, ist im wahrsten Sinne des Wortes schädlich für unser Land.»

Auch die vordergründige Profiteurin des neugestalteten Tabakgesetzes, die Tabakindustrie, hätte wenig vom Parlamentsbeschluss, denn «sie hat ja langfristig auch nichts davon, wenn sie bei einer Mehrheit der Bevölkerung wieder vermehrt in ein schlechtes Licht gerückt wird», gibt Hurter zu bedenken.

Der Ständerat soll die Reissleine ziehen

Zwar versuche die Tabakindustrie, deutlich zu machen, dass die neuen Tabak- und Nikotinprodukte ausschliesslich für Erwachsene bestimmt seien. Doch Zahlen, welche das Kinderspital Zürich veröffentlichte, liessen vermuten, dass der Rauchernachwuchs «gesichert» ist.

Laut dem Kinderspital Zürich konsumieren im Kanton Zürich 20 Prozent der Knaben im Alter von 13 Jahren E-Zigaretten, und rund 70 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Knaben im Alter von 16 bis 17 Jahren rauchen gelegentlich oder regelmässig Zigaretten oder Shisha beziehungsweise E-Zigaretten. Jürg Hurter erachtet es deshalb als «sehr wichtig, dass der Ständerat die Reissleine zieht und den Fehler des Nationalrates korrigiert».