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«Papa ging mit 300 durchs Leben»

Montag, 28. November 2016

ROMANSHORN ⋅ Am Freitagabend feierte im Autobau der Dokumentarfilm «Clay Regazzoni – Leben am Limit» Premiere. Mit dabei waren auch die Witwe des Rennfahrers und seine Kinder.

Es ist wie so oft: Wenn der Staat ein Filmprojekt nicht durch eine seiner zahlreichen Stiftungen unterstützt, dann müssen private Enthusiasten finanziell einspringen. Im Fall des 52minütigen Dokumentarfilms über den Formel-1-Piloten Clay Regazzoni von Regisseur Felice Zenoni war dies die Lienhard-Stiftung. Diese machte jedoch eine Bedingung: Die Premiere des Dokumentarfilmes sollte im Romanshorner Autobau vonstatten gehen.

Am Freitagabend war es so weit. Vor vielen Familienangehörigen, ehemaligen Freunden und Konkurrenten Regazzonis wurde der Film des erfolgreichsten Schweizer Rennfahrers aller Zeiten (5 GP-Siege, Vizeweltmeister 1974) erstmals gezeigt. Die Anwesenheit von über 120 Personen zeigte, dass der Tessiner Champion bis heute unvergessen ist.

Lauda ging immer früher ins Bett

Seine sehr gut deutsch sprechende Tochter Alessia erzählte aus dem Leben ihres Vaters, der Mitte der 1970er-Jahre als Prototyp des Playboy-Rennfahrers galt. Sein damals junger Ferrari-Stallkollege, Niki Lauda, bekannte, dass er den ausschweifenden Lebensstil des Tessiners durchaus zu seinen Gunsten ausnutzte. Er sei immer bewusst früher ins Bett gegangen als der oft die Nächte durchfeiernde Regazzoni, einfach, um am nächsten Tag beim Rennen fit zu sein. Lauda gewann dreimal die WM, Regazzoni nie.

Tochter Alessia beschrieb den Papa, der vor knapp zehn Jahren bei einem Autounfall in der Nähe von Parma – vermutet wird ein Sekundenschlaf – auf tragische Weise 67jährig ums Leben kam, mit den Worten: «Er ging mit 300 Stundenkilometern durchs Leben und starb mit 80».

Dass die Geschwindigkeit nicht auch vor dem Privaten haltmachte, zeigte eine weitere Aussage Alessias: «Als er uns Kindern die Verkehrstafeln erklärte, sagte Papa ernsthaft: «Diese Zahlen musst du mit den Leuten multiplizieren, die bei dir im Auto sitzen – dann weisst du, wie schnell du fahren darfst.» Die anderen Tafeln seien «einfach wie die Blumen in einer schönen Landschaft: nett anzuschauen, aber nicht wirklich wichtig».

«Champion des Lebens»

Der Film zeigt weit mehr als nur den Werdegang Regazzonis als Rennfahrer, nämlich auch die Zeit nach seiner Querschnittlähmung und sein Engagement für andere Behinderte, für die er technische Hilfsmittel entwickelte und auch Rennkurse veranstaltete. Diese Haltung, sich von nichts unterkriegen zu lassen, machte ihn für Regisseur Zenoni zum «x-fachen Weltmeister des Lebens».

Dass Clay Regazzoni bis ins hohe Alter Rallys fahren konnte, war ihm wichtig. Dass sich jedoch später fast niemand mehr aus dem Formel-1-Zirkus bei ihm meldete, wurmte ihn. Genauso wie das Desinteresse des offiziellen Tessins oder der Schweiz an seiner Person.

Er, der immer mit dem Schweizer Kreuz auf dem Rennfahrerhelm antrat, sagte einmal: «Die Schweiz hat mir nie etwas geschenkt; umgekehrt vielleicht schon.»