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Mit Pedro und Postkarten für Paul geworben

Mittwoch, 23. November 2011

Kultur ist hipp, Politik oft weniger. Da kann es kein Fehler sein, wenn auch ein Ständeratskandidat vom Format eines Paul Rechsteiners für einmal in der heissen Phase des Wahlkampfes nicht nur auf Parolen, sondern auch auf Poesie setzt. Ganz so, wie es der rote Paul am Freitagabend im „Gare de Lion“ tat.

CHRISTOF LAMPART

Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf. Paul Rechsteiner ist zwar ein mit allen Wassern gewaschener Polit-Profi, aber ihm ist zu Beginn anzumerken, dass er, der in den letzten Jahren immer wieder glanzvoll in den Nationalrat (seit 1986) gewählt wurde, schon lange nicht mehr um ein Amt kämpfen musste. Das Kämpfen kann man verlernen. Oder auch für sich wieder entdecken. Paul Rechsteiner hat sich für das zweite entschieden, das wird an diesem Abend, nach wenigen Minuten des Warmlaufens, deutlich spürbar.

Das kleinere Übel?

Wären alle Jungen einzig und allen wegen dem streitbaren Rechtsanwalt und Gewerkschaftsführer aus St. Gallen in den Kulturschuppen hinter den Wiler Gleisen gekommen, man hätte wohl Paul Rechsteiner flugs zum Favoriten um das noch vakante Ständeratsamt küren müssen. Doch der Polit-Talk war an diesem Abend nicht alles, vielmehr lockte auch die Poesie eines Pedro Lenz und die queren gesellschaftskritischen Lieder eines Manuel Stahlbergers  so manchen an diesen Ort. Über 80 Frauen und Männer, vielleicht auch gegen 100,  waren es, die abwechselnd Pedro, Manuel und Paul zujubelten. Darunter auch einige, die nicht aus dem typisch links-grünen Lager stammen. So wie Andreas aus Flawil, der Rechsteiner wählen wird, obwohl die ganze Familie „seit Generationen“ CVP wählt: „Der Hüppi hat zu wenig Format und der Brunner hat als Polterer nichts im Ständerat zu suchen.“ Hört man sich an diesem Abend an der Bar um, so denke viele ähnlich. „Ich hätte mir vor dem zweiten Wahlgang nie vorstellen können, Rechsteiner zu wählen, aber Brunner noch viel weniger. Und Hüppi ist keine echte Alternative“, so die 25-jährige Sandra aus Wil. Und ausserdem sei das Kulturprogramm hier „cool“, ruft ein Mann dazwischen, der mitbekommt, dass die junge Frau gerade interviewt wird.

„Wir werden gewinnen!“

Die Stimmung ist gelöst und das „Gare de Lion“ füllt sich. Die Wiler SP-Stadträtin Barbara Gysi strahlt ob so viel Zulauf wie ein Honigkuchenpferd und auch „de Paul“ taut je länger, desto mehr auf. Der Kanton St. Gallen sei durch Regionen mit starken Gegensätzen geprägt und deshalb für Politiker, die im ganzen Kanton gewählt sein wollten, sehr schwer zu fassen, so Rechsteiner. Doch er habe in den letzten Wochen überall massiven Support spüren dürfen. Und zwar auch von Menschen und Gruppierungen, die er eigentlich weitab seiner Linie wähnte. Das „gibt Kraft und macht Mut. Ich bin heute überzeugt, dass wir gewinnen können, nein, dass wir gewinnen werden“, ruft Rechsteiner. Die Menge klatscht begeistert Beifall.  

„Jetzt-erst-Recht“-Gefühl

Etwas abseits kritzelt eine Frau ein paar Zeilen auf ein paar Postkarten, welche Künstler zugunsten von Rechsteiners Wahlkampagne verkaufen. „Die werfe ich direkt morgen bei Kollegen in die Briefkästen ein, damit die ja nicht vergessen, rasch zu wählen. Denn jetzt haben wir wirklich einmal eine Chance, etwas zu ändern“, erklärt sie zwischen zwei Postkarten. Ohne Zweifel hat Rechsteiners Kampagne an diesem Abend ganz sicher nicht an Schwung verloren, sondern eher gewonnen, denn verzagte oder gar enttäuschte Gesichter sind nirgends auszumachen. . Auch ist nichts vom  Zweckoptimismus spürbar, der in den letzten Jahrzehnten viele SP-Wahlveranstaltungen landauf, landab begleitete. Vielmehr scheint  das „Jetzt-erst-Recht“-Gefühl, der Glaube an den Wahlsieg, hier erstmals richtig greifbar. Und schon alleine das ist mehr, als sich wohl mancher SP-Sympathisant noch vor wenigen Wochen in seinen kühnsten Tagträumen je erhofft hätte.