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Medizin aus dem eigenen Fett

Freitag, 25. Mai 2012

Die Medizin macht auf dem Gebiet der Stammzellenforschung grosse Fortschritte. Ganz vorne bei der Entwicklung mischt dabei die Münchwiler Med Cell Europe mit. Sie ist für den Preis «Startfeld Diamant» der SGKB nominiert.

CHRISTOF LAMPART

MÜNCHWILEN. Viele Forscher gehen davon aus, dass die Medizin auf dem Gebiet der Stammzellen in den nächsten Jahren bahnbrechende Fortschritte bei der Behandlung verschiedenster Krankheiten erzielen wird. In diesen Dienst hat sich seit gut zwei Jahren auch die in Münchwilen beheimatete Med Cell Europe gestellt. Dabei geht das Unternehmen von der Annahme aus, dass man in der Medizin weg von der Symptombehandlung und hin zu einer Vorsorge, Selbstheilung und Regeneration kommen könne, die vom eigenen Körper, eben der Stammzelle, ausgeht.

«Zukunftsfabrik»: Der Name des Gebäudes, in dem die Med Cell Europe eingemietet ist, ist Programm. Dennoch würde man wohl in einem Komplex, der im Untergeschoss eine Ludothek und zuoberst ein Tanzlokal beherbergt, nicht unbedingt eine Firma vermuten, die sich mit einem der aufregendsten Forschungsthemen beschäftigt, das es momentan gibt: der Isolation, Vermehrung und jahrzehntelangen Lagerung von Stammzellen im flüssigen Stickstoff bei einer Temperatur von minus 196 Grad. Dabei werden die Stammzellen nicht, wie bis anhin üblich, aus Nabelschnüren oder Knochenmark gewonnen, sondern aus etwas, von dem viele zu viel am eigenen Körper haben: Fett.

Sehr schneller Prozess

Die Entnahme von zweimal 20 Gramm Fett, welche durch Liposuktionsärzte extern durchgeführt und separat durch diese verrechnet wird (Kosten: rund 1000 Franken), ist, verglichen mit der Entnahme von Knochenmark, nicht nur schmerzfrei. Fett ist auch ein hervorragender Basisstoff für die Stammzellengewinnung. «Wir finden im Fett viel mehr Stammzellen als woanders, womit wir eine tolle Ausgangslage bei der Isolation und Nachzüchtung haben», erklärt der Laborleiter des Unternehmens, Stephen J. Kellner. Die Nachzüchtung von zehn Einheiten à eine Million Stammzellen in der im Juni 2011 neu eingerichteten Reinraumanlage, die nur in Schutzkleidung betreten werden darf, ist nach einer Woche abgeschlossen. «Unser Isolationsprozess ist somit sehr viel schneller als herkömmliche Verfahren, welche zwei oder mehr Monate dauern», weiss Kellner. Die insgesamt zehn Fläschchen mit jeweils zwei Milliliter Stammzellen sollten mindestens zehn Jahre tiefgefroren haltbar sein.

Vom Selbstversuch profitiert

Die Kosten für diese Behandlung belaufen sich auf knapp 3000 Franken. Das ist viel Geld. Doch aus der Sicht von Peter Kellner, welcher bei Med Cell Europe fürs Marketing und den Vertrieb zuständig ist, ist es gut angelegt. Kellner weiss, wovon er spricht, hat er sich doch einem Selbstversuch unterzogen. «Ich habe mir im letzten Januar meine Stammzellen spritzen lassen, weil ich einen chronischen Tennisellbogen, ständig einen steifen Nacken und ein Auge hatte, auf dem ich nur noch schemenhaft und grau-weiss gesehen habe», sagt Kellner. Schon wenige Wochen nach der Spritze seien der Tennisellbogen und der steife Nacken verschwunden. Und «ich sehe nun auf dem Auge nicht nur wieder viel besser, sondern auch wieder bunt.»

Peter Kellner weiss, dass bis anhin der wissenschaftliche Beweis für seine Behauptung nicht geführt werden konnte. Das ist ihm aber eigentlich egal: «Ich sehe ja, was es für positive Auswirkungen auf mich selbst gehabt hat. Meine Lebensqualität hat enorm zugenommen; das genügt mir persönlich vollkommen», so Kellner. Ähnlich positiv denken wohl auch die über hundert Personen, welche bis anhin bei Med Cell Europe ihre Stammzellen haben einlagern lassen. Als Zielgruppen hat die Firma Menschen im Visier, die erwarten, zukünftig gewissen Beschwerden ausgesetzt zu sein oder bereits aktuell an einer schlecht heilbaren Krankheit oder erhöhten Abnutzungserscheinungen leiden.

Mit der Gewinnung von Stammzellen aus normalen Fettgewebe scheint dem Med-Cell-Europe-Team also ein Meilenstein gelungen zu sein. Davon ist auch die dritte im Managementteam, Miriam Reif, «absolut überzeugt». Seit es dem Team Ende 2011 gelang, adulte Stammzellen in Insulinproduzierende Zellen umzuwandeln, forscht es noch intensiver an der Herstellung eines Medikamentes, das Diabetiker in die Lage versetzen sollte, nicht mehr zur Insulinspritze greifen zu müssen. Das wird aber nicht von heute auf morgen geschehen – dass wissen auch die Med-Cell-Macher. «Da werden wir wohl noch einige Jahre mit der Forschung und dem Bewilligungsmarathon beschäftigt sein. Aber das Ziel lohnt sich, so dass wir sicherlich nicht aufgeben werden, bevor wir dieses erreicht haben», sagt Stephen J. Kellner.