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In China misstraut jeder jedem

Sonntag, 3. November 2013

Viele KMU sehen Chancen auf dem chinesischen Markt. Der Sinologe und Ökonom Josef Mondl warnte an einem Kongress in Stein am Rhein aber davor, das Abenteuer zu ungestüm in Angriff zu nehmen.

CHRISTOF LAMPART

 STEIN AM RHEIN. Der HSG-Dozent Josef Mondl sprach letzte Woche im Rahmen des zweitägigen Wissenschaftskongresses des Think Tanks Thurgau, welcher dieses Jahr mit dem Asia Connect Center der Universität St. Gallen durchgeführt wurde und unter dem Motto «Lokale und globale Netzwerke: Neue Wege regionaler und internationaler Entwicklung von Unternehmen» stand.

Abschied vom Eurozentrismus

Dabei wurde insbesondere dem Handel mit China und Indien Beachtung geschenkt. Oder wie der CEO des Think Tanks Thurgau, Toni Schönenberger, betonte: «Wir müssen Abschied nehmen vom Eurozentrismus, denn unsere Gegenwart ist global.» Die Wachstumsdynamik in China, Indien und Südostasien sei beeindruckend, und die Rolle dieser Länder gewinne im Welthandel immer mehr an Bedeutung. Aber auch der technologische Nachholbedarf und die steigende Kaufkraft jener Länder mache sie «als Absatzmarkt für unsere Industrie attraktiv».

Genügend Zeit investieren

Doch so schön die Theorie ist – die Praxis sieht oft anders aus. Wie Mondl, der einst für das österreichische Aussenministerium in China arbeitete und insgesamt elf Jahre dort wohnte, bemerkte, müsse «heute sich schon in China engagieren, wer in drei Jahren ein Geschäft plant». Diese Vertrauensbildung sei wichtig – und doch sehr schwierig, denn die wenigsten Europäer sprächen Mandarin. Auch sei es im Reich der Mitte unmöglich, ein Geschäft auf die Schnelle zu machen. Selbst eine gute Geschäftsidee reiche im Falle eines KMU meistens nicht, sagte Mondl. Einzig ein hohes Investitionsvolumen sei geeignet, um das Interesse der Provinzregierung und des zuständigen Parteisekretärs zu wecken. «Es kann sein, dass Sie mit Managern und Beamten verhandeln und während der ganzen Zeit nie den Parteisekretär sehen. Aber wenn dieser nicht seinen Segen zum Projekt gibt, dann können Sie es nicht realisieren», sagte Mondl.

Extrem wichtiges Netzwerk

Während in Europa geschäftliche Dinge nach dem Prinzip «richtig oder falsch» bewertet und mittels Verträgen besiegelt werden, sei dieser Gedanke den Chinesen fremd, sagte Josef Mondl. Chinesen kennen im Geschäft keine Skrupel gegenüber denen, die nicht ihrem Netzwerk angehören, und lassen sich auch nicht von ethischen Überlegungen oder gar Schuldgefühlen leiten, sondern nur vom Gedanken «erfolgreich oder erfolglos».

In China misstraue ausserhalb der eigenen Familie jeder jedem und sehe selbst im Nachbarn einen potenziellen Feind. «Der Chinese ist ein skrupelloser Mensch, der keine Hemmungen kennt; er macht einfach vorwärts», sagte Josef Mondl.

Kein lockerer Bund

Dies nehme zuweilen für uns erschreckende Formen an. Es könne gut sein, dass ein Arbeiterkind von einem Auto überfahren werde und danach weitere Autos übers Kind hinwegrollten, ohne anzuhalten. Und das nur deshalb, weil das Kind nicht dem gleichen Netzwerk angehörte wie die Autofahrer. So fühlten sich diese auch nicht für das Schicksal des Kindes verantwortlich.

Daran werde ersichtlich, wie wichtig die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk in China sei, sagte Josef Mondl. Wobei mit Netzwerk nicht unbedingt dasselbe wie bei uns gemeint sei. Denn das Schriftzeichen für «Netzwerk» bedeute weit mehr als nur eine gewinnbringende Kontaktpflege. Viel eher heisse es «Bund» – einer, der die Partner auf Gedeih und Verderb aneinanderkettet.