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Wie klebriger Mehltau

Sonntag, 30. September 2012

In der Sommerpaus hat sich das Kellertheater Winterthur eine neue, frische Raumgestaltung gegeben. Dennoch „miefte“ es am Wochenende bei der Erstbespielung des neuen Bühnenraumes. Doch das lag am Stück, in dessen Mittelpunkt eine „abgestandene“ Beziehung stand.

CHRISTOF LAMPART

Mit dem dramatischen Einakter „Die ganze Nacht nicht“ von Roger Binggeli Bernhard eröffnete am Samstagabend die Kellerbühne Winterthur ihre Spielzeit 2012/2013.  Und zwar in einem komplett entrümpelten Raum. Die Podestbühne ist ebenso Vergangenheit wie auch der grauslich-gräuliche altertümliche Teppich samt dazugehörendem „Duft“. Betritt man heute den Raum, so befinden sich die Zuschauer hingegen vollständig auf der linken Seite, während die rechte Hälfte komplett eine ebene Bühne ist. Schauspieler und Publikum befinden sich somit auf einer Ebene, auf Augenhöhe. Was wiederum zu einem unmittelbaren Realitätsgefühl führt. Irgendwie umschleicht einen die meiste Zeit das Gefühl, dass man voyeuristisch einem Paar durch die Terrassentür hindurch beim Streiten in der Wohnung zuschaut.

Wie klebriger Mehltau

Das vordergründige Thema des Psychothrillers ist ernst. Wo war der 17-jährige Sohn an dem Abend als in der Nachbarschaft eine Horde Jugendlicher ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigten? Alles, was die Eltern wissen, ist, dass Julian die ganze Nacht nicht zu Hause war. Die Ungewissheit– denn gesprochen wurde darüber in der feinen Familie selbstredend nicht -  legt sich im Verlaufe des Abends wie klebriger Mehltau über eine Familienbeziehung, die schon längst nicht mehr auf Liebe, sondern vor allem auf Pflichterfüllung und Bequemlichkeit gründet.

Die Show muss weiter gehen

Helga (Doris Strütt) und Martin (Kurt Grünenfelder) geben auf den ersten Blick ein perfektes Mittelstand-Ehepaar ab. Eines, bei dem vieles auf Schein und wenig auf Sein basiert. Die glänzende Fassade kriegt im Verlaufe des Abends jedoch immer mehr Risse. Was mit Banalitäten aus Arbeitswelt und Freizeit anfängt, gerät immer mehr zum Psychotrip eines Paares, das sich schliesslich eingestehen muss, dass es eigentlich am Ende ist und – doch nicht voneinander lassen kann. Die Show muss weiter gehen. Spätestens zum Zeitpunkt, als beiden dämmert, dass Sohn doch etwas mit der Vergewaltigung zu tun gehabt haben könnte. Da greift auf einmal wieder die Beschützerrolle.

Nicht mehr aufzuhalten

Regisseur Udo  von Ooyen hat die Protagonisten in eine weiss-graue Ausstattungsorgie hinein versetzt. Diese atmosphärische „Leblosigkeit“ kontrastiert mit dem Versuch der Eltern, irgendwie wieder zu sich selbst und dann auch wieder zueinander zu finden.  Es ist ganz klar: hier versuchen zwei eine Katastrophe aufzuhalten, welche nicht aufzuhalten, weil schon längst geschehen ist. Das Stück ist voller Aktion; nichtsdestotrotz ist es gerade diese Ausweglosigkeit, welche einen am Ende eines kurzweiligen Theaterabends fast ein wenig ratlos zurücklässt. Dem Publikum gefiel die Vorstellung sehr, spendete es doch einen sehr regen und langen Beifall.