Aktuell

<  zurück zur Übersicht

Wenn das Lieblingsthema auf einmal tabu ist

Dienstag, 2. August 2011

Es war für einmal eine etwas andere 1.-August-Feier. Mehr „Oberbüren wie es singt und lacht“ denn eine „Rede an die Nation“. Was auch irgendwie ganz verständlich ist, wenn man die Ansprache zwischen mehrere Showblocks packt. Der Leidtragende war ein Nationalrat aus Wil.

CHRISTOF LAMPART

Minuten nachdem alles vorbei ist, steht SVP-Nationalrat Lukas Reimann draussen vor dem Zelt und zieht an einer Zigarette. „Etwas komisch“ sei es gewesen, meint der Wiler höflich – und zielt dabei auf die Tatsache ab, dass er zwischen Kinderchor und Akrobaten gerade einmal für 15 Minuten seine Sicht der Welt darlegen durfte. Dass der „liebe Herrgott ein Tiroler“ sein und „Marmor, Stein und Eisen“ nie brechen sollten, schien an diesem Abend die Hunderten von Festbesuchern irgendwie mehr zu interessieren als die „echten Schweizer Werte“, auf die Reimann ebenso bemüht wie nebulös zu sprechen kam. Denn was diese sein sollten, erklärte er nicht.  Oder nur unzureichend.

„Wir sind ein Vielvölkerstaat“

Apropos „verstehen“. Irgendwie scheint Lukas Reimann an diesem Abend, in den Tagen nach den schrecklichen Geschehnissen von Oslo, das Thema abhanden gekommen sein. Wenige Wochen vor den eidgenössischen Wahlen gibt es hier auf dem Land, im weissen Festzelt auf saftig-grünen Matten in der Niederwiler Glattburg kein böses Wort gegen Muslime, Einwanderer oder auch nur gegen die ansonsten von ihm nicht gerade sehr geschätzte und oft gegeisselte Multi-Kulti-Gesellschaft.  Reimann weiss instinktiv, dass eine Tirade in diese Richtung bei vielen unentschlossenen Wählern nicht gut ankommen könnte – schliesslich ist das keine SVP-Veranstaltung.  Ein lahm wirkendes  „Wir brauchen nicht noch mehr Einwanderung!“ scheint aber auch nicht das zu sein, was viele von ihm hören wollen.  Als Reimann sagt, dass die Schweiz selbst schon seit vielen Hundert Jahren ein Vielvölkerstaat sei, gibt  demonstrativ eine ganze Gruppe Männer eine Bestellung bei der Bedienung auf. Danach gefragt, was er denn von dem soeben Gesagten halte, blickt ein stämmiger Mann mit Bart – Typ „Bauer sucht Frau“ – kurz hoch und meint vielsagend: „I ha gmeint, er würi Klartext rede.“ Lukas Reimann tut es nicht.

Laue Rede, heisse Würste

Vielmehr  wirkt Lukas Reimann an diesem Abend  wie ein Mann, der urplötzlich seiner wichtigsten politischen „Waffe“ beraubt wurde, ohne jedoch eine andere in Aussicht oder gar Reserve zu haben. Nur gut, dass man bei einer Nationalfeier da schon noch ein paar Allgemeinplätze raus hauen kann, ohne dass es allzu aufgesetzt oder gar peinlich wirkt.  Und dennoch: Sätze wie „Die prachtvolle Geschichte der Schweiz ist ein selbstbewusster Weg“ und „Die Schweiz darf ihre Staatsform nicht ändern“,  oder „Unser Land steht und fällt mit den Menschen“ rufen weder zustimmendes Raunen und schon gar nicht Begeisterung bei der Masse hervor. Der Applaus auf die Rede ist wie die Rede selbst: lieblos-höflich und im grossen und ganzen nichtssagend. Es ist halt eben  wie fast immer, am 1. August, wenn auch kurze Reden zu lang und die Würste schon fast gar sind.