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Tilsiter wieder aus Tilsit

Montag, 19. November 2012

Zurück zu den Wurzeln. So könnte man das Projekt umschreiben, das die Sortenorganisation Tilsiter angestossen hat. Sie hilft mit, den Tilsiter wieder im ehemaligen Tilsit, dem heutigen Sovetsk, anzusiedeln, und zwar mit einer eigenen Käserei.

CHRISTOF LAMPART

WEINFELDEN. Am Anfang war es eine Marketingidee. Als im Jahr 2007 der thurgauische Weiler Holzhof (Amlikon-Bissegg) den Zusatznamen Tilsit erhielt, weil hier 1893 der erste Schweizer Tilsiter entstand. Der Direktor von «Tilsiter Switzerland», Bruno Buntschu, konnte damals nicht ahnen, was für Ausmasse – auch private – die Aktion annehmen würde.

Enge Verbindungen gewachsen

Denn mittlerweile ist nicht nur zwischen der Sortenorganisation und dem ehemaligen Tilsit an der Memel und heutigen Sovetsk eine enge kulturelle Partnerschaft entstanden, sondern Buntschu lernte bei einem kulturellen Austausch auch seine heutige Ehefrau Tatjana kennen. «Tilsit hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt», sagt Buntschu lachend. Doch dabei soll es nicht bleiben, denn «wir würden den Tilsitern sehr gerne etwas zurückgeben». Zumal das Image des Tilsiters in und um Sovetsk/Tilsit, einer Stadt von der Fläche Frauenfelds mit rund 40 000 Einwohnern, hervorragend ist. «Wir machen jeden Herbst beim Stadtfest mit, wo wir unseren schweizerischen Tilsiter und andere Spezialitäten wie Fondue oder Raclette servieren.»

Eine Chance für Sovetsk/Tilsit

Die Voraussetzungen für eine leistungsfähige Schaukäserei, welche anfänglich täglich 2000 bis 3000 Liter Milch verarbeiten wird und später jährlich bis 600 Tonnen Tilsiter produzieren kann, sind gut. Denn um Sovetsk herum gibt es sehr viel gutes Weideland, das brachliegt. Der Bürgermeister von Sovetsk hat eine grosse, verkehrsgünstig gelegene Parzelle ausserhalb der Stadt reservieren lassen. Und der ehemalige Bürgermeister von Moskau erklärte, dass er einen grossen Landwirtschaftsbetrieb aufziehen werde, wenn das Projekt fix sei. «Die Leute vor Ort sind mit Enthusiasmus bei der Sache. Denn für sie ist diese Schaukäserei eine grosse Chance», sagt Buntschu. Eine Chance deshalb, weil sich in der Region alles auf die boomende Hauptstadt Kaliningrad (Königsberg) konzentriert. Während im 130 Kilometer entfernten Sovetsk viele Menschen arbeitsmässig keine Perspektiven hätten.

Die Käserei soll nicht nur Käse herstellen, sondern einen 40 mal 5 Meter grossen Glaskorridor erhalten, von dem aus man dann auf beiden Seiten der Produktion zuschauen kann. In diesem zweistöckigen Glaskorridor soll auch ein Museum für den Tilsiterkäse entstehen. Ein Restaurant im «Swiss Chalet-Stil», das ausschliesslich Schweizer Spezialitäten (Fondue, Raclette und Rösti) führt, wird für das entsprechende Ambiente sorgen. Und ein Käseladen mit Produkten aus Russland und der Schweiz soll ebenfalls angeschlossen werden.

Topqualität kommt an

Können die Russen, die normalerweise rund sieben Franken für ein Kilo Halbhartkäse hinblättern, sich den doppelt so teuren Tilsiter aus der Schweiz überhaupt leisten? Für Buntschu ist das keine Frage: «Ich habe gelernt, dass die Russen entweder auf Billigprodukte oder auf Topqualität aus sind. Preislich und qualitativ mittelmässige Produkte verkaufen sich hingegen sehr schlecht.»

Die Schaukäserei soll nach ökonomischen Grundsätzen geplant, gebaut und betrieben werden. Und die Weiterentwicklung muss später selbständig vor Ort erfolgen. Aus diesem Grund hat die Berufsschule in Tilsit/Sovetsk bereits jetzt eine Ausbildung für Milch- und Käsetechnologie im Angebot. Auf das Schuljahr 2012 hin wurde eine Klasse mit 20 Studentinnen und Studenten eröffnet.

2014 der erste Käse

Doch bevor diese 2015 in der neuen Käserei eine Stelle antreten können, muss zuerst gebaut werden. Mehr noch: Zuerst muss das Projekt sämtliche Hürden nehmen. So reist Buntschu nächste Woche nach Kaliningrad, um im dortigen Parlament, der Duma, den Businessplan vorzustellen. Dass das Projekt jetzt noch scheitern könnte, daran glaubt er jedoch nicht. «Geht alles gut, so werden wir im letzten Quartal des Jahres 2013 den Grundstein legen, so dass wir im 2014 bereits den ersten Käse produzieren können», so Buntschu optimistisch.