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Schöner sterben

Dienstag, 25. September 2012

Nicht an der reinen Dauer lässt sich der Wert eines Lebens messen, sondern an dem, was man aus ihm macht. Diese Erkenntnis bekommen grosse und kleine Theaterfreunde gegenwärtig im Theater Winterthur von einer Eintagsfliege vorgelebt und – gestorben.

CHRISTOF LAMPART

Eine Warnung vorweg: die jüngste Produktion des „Theater des Kanton Zürich“ - die Schweizer Erstaufführung des Einakters „Nur ein Tag“ des Düsseldorfer Schriftstellers Martin Baltscheit -  ist zwar für Kinder ab 7 Jahren gedacht, zugleich jedoch kaum etwas für jene, die emotional „am Wasser gebaut“ haben. Denn das Stück hat es zweifelsohne in sich.

Garantiert kein Happy-End

Beim tierischen Treiben um Wildschwein (Peter Rinderknecht), Fuchs (Samuel Kübler) und Eintagsfliege (Julia Sewing) dreht sich alles im Grunde genommen nur um eine Frage: Wie würde ich leben, wenn mein Leben nur einen Tag lang währte? Wäre dies einfach mein „erster“, mein „letzter“ oder vielleicht sogar der „schönste“ Tag meines Lebens? Diese ebenso faszinierende wie auch beklemmende Frage nutzt das Theaterstück weidlich aus. Immer wieder wird während den 70 Minuten deutlich, dass unter dem vordergründig sorglosen Handeln („Let’s make party!“) stets der Abgrund gähnt, der Tod lauert, der am Ende so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche. Ein Happy End, das wissen gross wie klein schon wenige Minuten, nachdem die lebensfrohe und herzige Fliege im Beisein der zufällig anwesenden Kumpels Wildschwein und Fuchs geschlüpft ist, wird es hier nicht geben. Das wissen selbstverständlich auch die Kumpels und die Fliege bemerkt deren Trauer. Doch anstatt dem kleinen Wesen zu erklären, dass es nur noch wenige Stunden zu leben habe, erfinden die beiden die Mär vom „Ein-Tagesfuchs“, der bald sterben müsse. Daraufhin verwendet die ahnungslose Fliege ihre ganze Energie darauf, um den armen Fuchs einen schönen Tag zu schenken…

Arglos wie Kleinkinder

„Nur ein Tag“ (Regie: Brigitta Soraperra) ist zweifellos eine Geschichte die berührt, denn vieles an der Fliege erinnert einen an die Arglosigkeit von Kleinkindern, die ohne Arg sind und in der ganzen Welt nur Chancen, nicht aber verpasste Möglichkeiten entdecken. Das stimmungsvolle, fast kitschige Ambiente (Bühnenbild und Kostüme: Nicole Henning) – die drei Stellwände zeigen eine prächtige romantische Waldlandschaft samt kleinem See – verstärkt diesen Eindruck noch. Und somit auch jenen der Aussichtslosigkeit. Ein ganz grosses Lob gebührt den drei Schauspielern. Wie sich dieses Trio in die Rollen hinein versetzt, war grosses Theater. Man hätte  während des ganzen Stückes wohl eine Stecknadel im Zuschauerraum fallen hören, so gefesselt war das ganze Publikum. Das zeigte sich auch  am Ende, spendete dieses doch den Darstellern einen ebenso langen wie intensiven und verdienten Applaus.