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Ohne Kondom und ohne Kitsch
Am Samstag zeigte das Ensemble „ bravebühne“ am Winterthurer Theater am Gleis die Schweizer Erstaufführung von John Retallacks „Virgins – oder das geheime Leben von Teenagern und Erwachsenen“. Das Stück ums Erwachsenwerden offenbarte dabei eine grosse emotionale Wucht.
CHRISTOF LAMPART
Die liebe, gute, alte Familie. Die hat man auch noch, wenn man eigentlich nichts mehr hat. Sagt zumindest der Volksmund. Sagt sich auch nach knapp einer Stunde Spielzeit, wenn der imaginäre Vorhang wieder fällt, das Publikum. Und sagt sich so gut wie niemand während dieser theatralische „Quickies“ läuft, bei dem sich alles um die Liebe, die Lust und die Angst, zu versagen, dreht.
Direkt und radikal
Das John Retallack-Stück, welches mit Live-Rockmusik (Domi Schreiber, Gesang und E-Gitarre) akustisch untermalt wird, geht einem unter die Haut und – unterhält dabei doch bestens. Denn „Virgins“ (Regie: Taki Papaconstantinou) erzählt von etwas, was eigentlich alle, oft auch aus einem ähnlichen Blickwinkel heraus, kennen. Nämlich von erwachsen werdenden Kindern und nicht mehr jugendlichen Eltern, die scheinbar nur noch zufällig eine Familie bilden. Überall lauern geradezu Streit und Stress. Der Streit ums Handy, der erstmalige drogenbedingte Absturz, die Enge des Elternhauses, die Enge der Beziehung. Dementsprechend direkt und radikal ist auch die Sprache und regt Jugendliche wie Erwachsene gleichermassen zum Nachdenken an.
Monologe statt Gespräche
Da trifft keine kitschige Familienidylle aufeinander, auch wenn anfänglich alle eine Zeit lang so tun als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen. Sondern eine Durchschnittsfamilie, wie sie im Buche steht. Irgendwann sagt der Vater (Graham Smart), dass er jedes Mal seinem 17-jährigen Sohn Jack (Simon Alois Huber) etwas hinterher werfen wolle, nachdem sie miteinander gesprochen hätten. Dass ist eigentlich auch nicht verwunderlich. Denn ein echtes Gespräch kommt nicht zustande. Während der Vater vor allem schimpft, hält die beruflich gestresste und liebesmässig abgestumpfte Mutter (Gabriela Leutwiler) der 15-jährigen Zoé (herrlich romantisch: Jennifer Vollstuber) moralinsaure Vorträge, von die Tochter natürlich jedoch nichts wissen möchte. Vielmehr wollen die Jugendlichen einfach selbst entdecken, was es bedeutet, erwachsen zu werden und zu sein.
War es Betty oder Sally?
Dass dies auch bedeutet, für sein eigenes Leben eigenverantwortlich zu sein, erfährt Jack buchstäblich am eigenen Körper, als er eines Tages mit „juckenden Eiern“ aufwacht. Diese sind die Folgen einer ausufernden Geburtstagparty, bei der Jack – natürlich ohne Kondom – vor einigen Wochen seine Jungfräulichkeit verlor. So weit, so schlecht. Nur weiss der Filius nicht mehr genau, an wen er sie verlor. War es Sally oder Betty, mit der er es im Rausch der Drogen und Hormone trieb?. „Da hatte ich einen Blackout“. Schliesslich wendet sich – nach einigen Irrungen und Wirrungen – doch noch alles zum Guten. Kitschig ist das Ende jedoch keineswegs, doch soll es an dieser Stelle nicht verraten werden. Wer die packende Inszenierung noch nicht gesehen hat, hat noch zweimal Gelegenheit dazu, nämlich am kommenden Mittwoch/Donnerstag, jeweils um 20.15 Uhr.