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Nur der See schluckt Schnee

Dienstag, 18. Dezember 2012

Zum Abschluss des 20-Jahr-Jubiläums der Weinfelder Remise las Hans Gysi Geschichten und Gedichte über die Facetten des Schnees.

CHRISTOF LAMPART

WEINFELDEN. Wo ist es am wärmsten in einem ungeheizten Holzgebäude? Richtig: ganz oben. Und so verwunderte es wenig, dass die Lesung in der Remise mit dem vielsagenden Titel «Es schneit, es schneit…» buchstäblich unters Dach verfrachtet wurde. Dort, wo die Decke von der Schrägheit des Daches definiert und schon dadurch der Raum enger wirkt als er eigentlich ist.

Es ist ein kuscheliger Raum, in dem sich ein Dutzend Leute zur Lesung mit dem Literaten einfanden. Ein Feuer braucht es nicht, da Wärme ja bekanntlich steigt. Sicherlich wäre ein Feuer im alten Holzbau auch nicht erlaubt, im Untergeschoss jedoch zumindest gedanklich angebracht gewesen, wäre die Veranstaltung dort durchgezogen worden.

Kalte Lesung

Doch die Organisatoren, Brigitt Näpflin Dahinden und Ivo Dahinden, hatten ein Einsehen. Die Lesung selbst würde kalt genug werden. Tatsächlich las Hans Gysi über alle Facetten des Schnees. Robert Walser's Erkenntnis, dass der Schnee immer nur eine Richtung kenne, übertrug sich gewissermassen auch auf die Lesung – einem Potpourri aus verschiedensten Stücken. Werke von Walser, Kästner, Meier, dann mal ein Blick in ein Bilderbuch, dort zwei Gedichte auf Rätoromanisch.

Gegensätzliches

Viele Naturschilderungen sind dabei, die Gegensätzliches offenbaren. Die Weichheit des Schnees, seine Unerbittlichkeit, wenn er nicht mehr aufhört zu fallen. «Nur Seen schlucken Schnee, denn diese sind uneinschneibar», liest Gysi; der Rest verschwindet, sogar die Geräusche werden eingeschneit. So sehr, dass man «nur die Stille hört». Still ist es auch im Raum. Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschen gebannt und haben einen Riesenplausch am nach innen gerichteten literarischen «Schnee», der warme Socken verspricht und das In-Sich-Hineinkriechen erlaubt; einfach die schöne Seite des Winters. Nach knapp 70 Minuten gehört diese fast der Vergangenheit an. Aber nicht ganz: Glühwein und Mandarinen verlängern die Gespräche über einen Abend, der einen vom Herzen her wärmte und einen gelungenen Abschluss zum 20-Jahr-Jubiläum der Remise bildete.