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Mühe mit den deutschen Chefs

Freitag, 24. Mai 2013

Es gibt sie, die Probleme mit den Deutschen in der Schweiz. Aber sie sind weitaus weniger gravierend, als es manche schlichte Polemik glauben machen will. Das Bodensee-Wirtschaftsforum hat sich der Frage wissenschaftlich genähert.

CHRISTOF LAMPART

KREUZLINGEN. Was unterscheidet die Schweizer von den Deutschen, die in der Grenzregion Kreuzlingen-Konstanz wohnen? Das gestrige Bodensee-Wirtschaftsforum des Thurgauer Wirtschaftsinstituts in Kreuzlingen (TWI) hat neueste Forschungen dazu präsentiert.

Die Schweiz ist für viele Deutsche ein unzugänglicheres Land, als man es vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte. Der Grund dafür, so der Soziologe Thomas Hinz von der Universität Konstanz, «ist die Alltagssprache, denn sie ist eine markierende Grenze». Dennoch hätten Deutsche und Schweizer mehr Dinge gemeinsam als zum Beispiel Schweizer und Österreicher. «Beide Völker sind gerne pünktlich und halten sich an Regeln», erklärte Miryam Eser Davolio von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften vor den gut 80 Teilnehmern am Wirtschaftsforum des TWI, das unter dem Motto stand: «Ungleiche Freunde? Miteinander in der Grenzregion.» Das 2002 gegründete TWI ist ein grenzübergreifendes, deutsch-schweizerisches Projekt. Der wissenschaftliche Schwerpunkt des TWI liegt in der experimentellen Wirtschaftsforschung.

Neues Phänomen

Für Eser Davolio ist der Rassismus, dem sich viele deutsche Zuwanderer in der Schweiz ausgesetzt sehen, ein «ziemlich neues Phänomen», denn dieser Rassismus richte sich erstmals nicht an Leute aus einer sozialen und bildungsmässigen Unterschicht, sondern gegen beruflich hochqualifizierte Migranten. Dieser Rassismus entstehe oft am Arbeitsplatz und da insbesondere auf der Managementebene, denn «hier muss sich die Minderheit als Chef nicht mehr der Mehrheit anpassen, sondern es verhält sich oft umgekehrt». Auch hätten die generell konsensorientierten Schweizer oft Mühe, sich dem wenig kooperativen Führungsstil deutscher Chefs anzupassen. Was umso schwerer sei, da viele deutsche Chefs gerade dann in die Firma geholt würden, wenn es gelte, rasch unangenehme Entscheide zu fällen.

Kein Wunder also, gebe es für Deutsche in der Schweiz viele potenzielle Fettnäpfchen. Nicht zuletzt deshalb empfahl Eser Davolio, lieber möglichst viel «mit Taktgefühl zu regeln und Entscheidungsprozesse nicht alleine, sondern im Team zu treffen». Das komme hierzulande gut an und sei hilfreich dabei, um kulturelle Gegensätze in der Arbeitswelt zu überbrücken und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

Katrin Schmelz, welche gegenwärtig fürs TWI eine interaktive Studie zum Thema «Kleine oder grosse Geste» mit Einwohnern der Städte Konstanz, Kreuzlingen und Rorschach durchführt, hat als gebürtige Ostdeutsche mehr Gemeinsamkeiten zwischen «Ossis» und Schweizern als zwischen Ost- und Westdeutschen ausgemacht. Menschen in Ostdeutschland und der Schweiz würden ähnliche Rollenmodelle und Werte leben und seien sich vor allem «relativ schnell über eines einig, nämlich über die Unverschämtheit der Westdeutschen», sagte sie augenzwinkernd.

Die Netzwerkgrenze

Davon könne jedoch, so der empirische Sozialforscher Professor Hinz, in der Grenzregion Kreuzlingen kaum die Rede sein. Vielmehr herrsche auf beiden Seiten der Grenze eine grosse Zufriedenheit mit dem Leben. Und eine Reserviertheit der Kreuzlinger gegenüber Konstanz sei eben nicht auszumachen. «Die Schweizer überqueren die Grenze nach Konstanz viel häufiger als umgekehrt.» Was ihn bei seiner Untersuchung überraschte, war jedoch die Tatsache, dass nur sehr wenige Schweizer und Deutsche die Grenzregion nutzen, um sich privat grenzüberschreitend zu vernetzen. Auf beiden Seiten der Grenze bewege sich die Zahl der grenzüberschreitenden Netzwerker im niedrigen einstelligen Bereich, so Thomas Hinz.