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"Morgen, mein Meister: Trotz Gelegenheit keine Chance

Dienstag, 1. Mai 2012

Im Winterthurer Kellertheater feierte am Samstag das Ein-Frau-Drama „Morgen, mein Meister“ von Manfred Schild vor gut 70 Zuschauern seine Schweizer Premiere.

CHRISTOF LAMPART

In der Inszenierung von Udo van Ooyen bereitet sich Beatrix (zuerst berechnend, dann verzweifelt: Silvia Garatti) auf ein entscheidendes Treffen mit dem Consulting-Berater ihres Chefs vor. Genauer gesagt: ihres Ex-Chefs, denn die ehemalige Sekretärin einer Brauerei ist seit einem halben Jahr arbeitslos und zehrt von ihren Ersparnissen. Sie fiel damals den  Prämissen der schönen, neuen Berufswelt zum Opfer: der unabdingbaren Flexibilität, der immer noch zu steigernden Effizienzsucht und am Ende halt dem optimierten Rationalisierungswahn eines Managers, der Menschen nicht nur kostengünstig Bier herstellen liess, sondern diese Menschen als ebenso „solche“ erachtete: praktisch, billig – und mit einem Verfallsdatum versehen.

Wie eine Forelle zerlegt

Doch jetzt hat Beatrix die einmalige Chance, Geschehens ungeschehen zu machen. Glaubt sie zumindest. Denn sie hat wohl ein Date mit dem Berater, er aber nicht mit ihr. Was anfänglich wie eine Einladung und somit wie eine reelle Chance aussieht – schliesslich hat sie sich den Jargon der neoliberalen Marktwirtschaft eingebläut, ein Vermögen in ihr Outfit investiert und sich minutiös vorbereitet - offenbart sich im zweiten Teil des Stücks, als die einstige Tippse im Gourmettempel alleine diniert, als spiessiges Schicksal einer Stalkerin, die an ihrer Sensibilität zunehmend zerbricht. Denn der „Meister“ zerlegt nur einen Tisch weit entfernt filigran seine Forelle – und mit dieser auch Beatrix‘ Selbstachtung, würdigt er sie doch keines Blickes. Da nützt weder das kleine Schwarze, noch die absichtlich zu Boden gefallene Serviette etwas. Hier finden nur in der Fantasie der Ausgestossenen, die einfach ihr altes Leben zurück haben möchte, zwei Menschen zueinander. Bei einer solchen emotionalen Distanz und sozialen Diskrepanz wundert sich am Ende wohl kaum noch jemand, dass die scheiternde Beatrix zu schlechter Letzt den Freitod sucht.

„Produkt“ vom Markt genommen

Das mutet zwar auf den ersten Blick ein wenig bizarr an – und ist doch nur konsequent. Denn sie handelt ganz nach den Gesetzen des freien Marktes und nimmt sich als überflüssiges „Produkt“ selbst aus dem Schaufenster des Lebens. Da schluckt man am Ende schon einmal kräftig, wenn die Anti-Heldin das Messer gegen sich selbst erhebt. Und doch dürfte dieses Ohnmachtsgefühl in der heutigen Zeit vermutlich gar nicht einmal so selten sein. Denn es gibt wohl viele Menschen, die sich ebenso seelisch prostituieren wie die einstige graue Büromaus, die sich unter den Augen des Publikums vom einfachen, aber liebevollen Menschen in ein gestyltes, aber seelenloses „Produkt“ verwandelt und  - sich dabei buchstäblich selbst verliert.

Das Publikum spendete der Schauspielerin einen langen und freundlichen Applaus für ihre überzeugende Darbietung. „Morgen mein Meister“ lässt keinen kalt – dafür sorgen die Schauer, die einem garantiert während der Vorstellung über den Rücken laufen werden.