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Kommt das Ende der Ortsgemeinde Wil langsam, aber stetig in Sicht?

Dienstag, 22. Februar 2011

Die Ortsgemeinde Wil war bis vor wenigen Jahre eine ebenso stolze wie bedeutsame öffentlich-rechtliche Körperschaft im Bewusstsein der Wiler Bevölkerung. Doch seit im Kanton St. Gallen die Ortsgemeinden aufgelöst werden, schwindet ihr öffentliches Ansehen, so dass sich heute die Frage stellt, ob die Ortsgemeinde nicht nur eine lange Tradition, sondern auch noch eine lange Zukunft haben wird?

CHRISTOF LAMPART

Morgen oder übermorgen wird es –  bildlich gesprochen - in Sachen Ortsgemeinde-Auflösung sicherlich noch nicht so weit sein. Doch die Tatsache, dass die Ortsgemeinde Wil vor wenigen Monaten,  am 16. November 2010, zu einem Bürgerforum „Zukunft der Ortsgemeinde Wil“  in die Wiler Tonhalle einlud, zeigt zweifelsohne, dass der Ortsbürgerrat um Präsident Niklaus Suter die Zeichen der Zeit erkannt hat. Und diese stehen – was das langfristige Überleben der Ortgemeinde Wil betrifft- „nicht gut“. Dieser Ansicht nach ist zumindest Suters Amtsvorgänger als Präsident der Ortsgemeinde, der Ur-Wiler  Alfred Lumpert.

Bessere Image-Pflege  nötig?

Und das liege zum einen am darbenden öffentlichen Image, zum anderen aber auch an den Finanzen, meint Lumpert. Denn für Lumpert, der während Jahrzehnten fast seine ganz Freizeit zum Wohle der Ortsgemeinde opferte, ist das, was der Ortsbürgerrat heute in Sachen Öffentlichkeitsarbeit tut, „einfach zu wenig“.  Dabei sei eine „gute Werbung in eigener Sache wichtiger denn je“. Zumal mit der wahrscheinlich bald erfolgenden Eingemeindung von Bronschhofen und  dem vor wenigen Jahren erfolgten Verlust der Einbürgerungskompetenz ,die Gefahr weiter ansteige, dass das Wiler Bürgerrecht noch mehr an Status und  - vor allem - an Sinn verliere, warnt Lumpert. 

Um diesem negativen Trend Einhalt zu gebieten, müsse man die eigenen, guten Taten vermehrt offensiv nach aussen kommunizieren - zumal die Ortsbürger ja seit ein paar Jahren einen Schreiber beschäftigten, fordert Lumpert. „Den hatte ich zu meiner Zeit noch nicht, aber ich bin sicher, dass wir damals ganz anders in der Öffentlichkeit wahr genommen wurden als heute“,  äussert Lumpert fast unverhohlen sein Unverständnis.  Dieses Unverständnis lässt sich wohl ein wenig begreifen, wenn man sieht, wie lang die Liste  jener Aufgaben ist, die sich die Ortsgemeinde Wil im kulturellen (Baronenhaus, Baronenhauskonzerte, Ortsmuseum, Chällertheater und Tonhalle) und ökologischen Bereich (Forstbetrieb, Weidgut, Thurau und Rebberg) selbst gestellt hat. Und mit denen man eben in eigener Sache werben könnte.

Geht irgendwann einmal das Geld aus?

Der Aufgaben sind also viele. Und die beanspruchen nicht nur viel Zeit, sondern vor allem auch Geld. Und hier  liegt denn auch wohl der Knackpunkt, der einst zur Übernahme der Ortsgemeinde durch die Stadt Wil führen könnte. „Noch haben wir genug finanzielle Reserven, aber wir können unser gutes Bauland nicht mehrfach, sondern nur einmal verkaufen. Wenn unser Tafelsilber weg ist, ist es weg“, warnt Lumpert, welcher es „eh nicht versteht“, warum man das Land überhaupt verkauft. „Als ich Präsident war, habe ich das Land nur in langjährigen Baurechtrechtsverträgen abgegeben“, so der Ur-Wiler.  Dass auch der aktuelle Ortsbürgerrat die Sorge um die langfristigen Finanzen teilt,  und er eine nachhaltig gesicherte finanzielle Grundlage für die Ortsgemeinde als „unabdingbar“ ansieht, erschliesst sich auch aus dem Vorwort zum Projekt „Zukunft der Ortsgemeinde Wil“, in dem der Ortsbürgerrat weiter schreibt: „Wohl kann aktuell die Finanzlage der Ortsgemeinde Wil als gesund bezeichnet werden. Dennoch gilt es zu bedenken, dass die Erträge aus dem Grundeigentum und der Waldwirtschaft die einzigen Einnahmequellen sind, nachdem die Einbürgerungstaxen von Bundesrechts wegen weggefallen sind.“

Von 30 auf 8 Prozent gesunken

Aus historischer Sicht wäre es sicherlich schade, gäbe es die Ortsgemeinde in einigen Jahrzehnten nicht mehr. Denn immerhin ist sie, zusammen mit der Politischen Gemeinde, jene Körperschaft, welche 1803 aus den Revolutionsstürmen  hervor ging, die ganz Europa erfasst und  verändert hatten. Den Politischen Gemeinden war damals in der Regel die Ortspolizei, das Bau- und Löschwesen, die Vormundschaftspflege und die polizeiliche Armenpflege zugedacht. Die Ortsgemeinden kümmerten sich um die bürgerliche Armenpflege, die Einbürgerungen und die Verwaltung ihrer Bürgergüter. Von diesen drei Aufgaben, ist heute den Ortsgemeinden nur noch die Verwaltung der Bürgergüter übrig geblieben.

Wie wichtig und identitätsstiftend jedoch die Ortsgemeinde  Wil früher war, kann man auch an der Zahl der Wiler Ortsbürger ablesen. 1850 zählte die Stadt Wil insgesamt 1555 Einwohner – davon waren über 30 Prozent Ortsbürger. Heute ist der Anteil an Ortsbürgern – trotz zirka 700 Einbürgerungen in den letzten zehn Jahren – auf rund acht Prozent gesunken. Für Alfred Lumpert ist dieser Trend „schade, aber verständlich“, denn „heute wollen die Leute nicht in erster Linie Wiler, sondern vor allem Schweizer werden. Da ist es ihnen egal, ob sie das Bürgerrecht in Wil oder anderswo erhalten.“  Dementsprechend wenige, neue Gesichter sehe man bei den Ortsbürger-Anlässen. „Es sind immer wieder die Gleichen, die kommen und dazu auch meistens ältere Semester wie ich“, hat Lumpert beobachtet. 

Erschienen: 22. Februar 2011 www.mywil.ch