Aktuell

<  zurück zur Übersicht

Glücklich dem Unglück entgegen

Mittwoch, 18. Januar 2012

Unterhaltsam und witzig, bissig und nachdenklich stimmend – die Schweizer Erstaufführung von Kai Hensels „Glück im 21. Jahrhundert“ am Kellertheater Winterthur erfüllte an seiner Premiere am Freitagabend alle Kriterien eines gelungenen Theaterabends.

CHRISTOF LAMPART

Der Duden definiert „Glück“ als günstiger Ausgang eines Ereignisses. Nimmt man diese Beschreibung als Massstab für den Verlauf des Geschehens, welches sich während eines Aktes und 75 Minuten auf der Bühne abspielt, dann bleibt einem jedoch nur ein Fazit: Ziel verfehlt – und zwar um Klassen. Denn am Ende stehen zwei physisch und psychisch total ausgebrannte Menschen, Finanzgenie Johann (aalglatt: Christian Heller) und Fussmodell Anne (gutmenschelnd-naiv: Ute Sengebusch) da, die nicht nur ihre genial Geige spielende Tochter Jasmin (rebellisch bis in den Tod: Nicole Tobler) durch ein Unglück, sondern auch sich und ihr eigenes Leben  aus den Augen verloren haben.

Auf der Überholspur

Ein Leben, das von Anfang an nur auf der Überholspur ablief und auch im bitteren Finale noch so abläuft. Und das wortwörtlich: Denn glücklich sein bedeutet hier unter allen Umständen „erster zu sein“.  Und springt die Ampel für einmal nicht sofort auf grün, so werden die wenigen Sekunden des physischen Stillstands nicht zur Erholung, sondern zur Planung genutzt. Wie kann ich nachher einen brillanten Kavaliersstart hinlegen, der den „Rivalen“ – womöglich ein Büronachbar - auf der Nebenspur alt aussehen lässt? Was anfänglich wie eine Aneinanderreihung  absurder Banalitäten aus Alltagstrott und Yellow Press anmutet  - und somit auch noch irgendwie lustig wirkt - wird spätestens dann bitterer Ernst, als die Statistik in dem immer beklemmender werdenden Stück (Regie: Udo van Ooyen) das Leben der Protagonisten die Kontrolle übernimmt und – surreale Ängste schürt, die mit der eigentlich gelebten Gegenwart nichts gemeinsam haben. 

Beschützt oder bewacht?

Da löst ein Tagesschau-Bericht über nordafrikanische Migranten beim Vater das Bedürfnis aus, die Familie zu schützen. Also ab mit ihr ins schwer bewachte Reichenghetto! Die Paranoia geht schliesslich so weit, dass am Ende auch im Sicherheitsmann, der das Gelände, auf dem die Familie wohnt, bewacht, als Sicherheitsrisiko und somit als Feind eingestuft wird.  Dieser innere Zwang wird auch durch die Monitore verdeutlicht, welche einerseits die Familie von aussen schützen, andererseits sie aber auch bewachen. Sicherheit ohne den Verlust von Freiheit ist hier nicht zu haben, so viel ist klar. Ob dies aber nun das im Titel heraufbeschworene Glück des 21. Jahrhundert garantiert, darf zumindest bezweifelt werden. Glücklich dürften hingegen die Macher des Kellertheaters sein, denn die Premiere überzeugte das am Ende lange applaudierende Publikum vollauf. Wer also spannendes und unterhaltsames Theater schätzt, dürfte derzeit zumindest diesbezüglich sein Glück für einen Abend im Winterthurer Kellertheater finden.