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Feinstoffliches aus Wiler Produktion

Mittwoch, 13. August 2014

War die letzte Ausstellung im Stadtmuseum, «Wil im Krieg», doch eher bedrückend, so wird gegenwärtig mit «Textil in Wil» eine leichte und schöne Seite der Äbtestadt gezeigt. Am Montagabend war die Vernissage. CHRISTOF LAMPART

WIL. Die mittlerweile 39. Ausstellung des Stadtmuseums im Hof zu Wil umgibt ein geradezu «luftiges» Ambiente. Schon beim Betreten wird der Besucher optisch und haptisch von feinsten St. Galler Stickereien – Musterstoffe aus dem Hause Jacob Schlaepfer – umschmeichelt, welche von der Decke herunterhängen und somit zum einen ebenso modische wie blick- und luftdurchlässige Raumtrenner geben und zum anderen den Besucherinnen und Besuchern in einer eigenen, stofflichen Welt willkommen heissen. Aber auch die technische Seite des kommerziellen textilen Werkens wird in Kurzfilmen eingehend und anschaulich thematisiert.

Texte auf Stoffen gedruckt

Die neue Ausstellung im Stadtmuseum verströmt eine wohltuende Leichtigkeit. Das fängt schon beim Ausstellungskonzept an. Viele Infos sind nicht auf starre Informationstafeln gedruckt, sondern auf leichten, weissen Stoffbahnen, die von der Decke hängen. Auf diesen erfahren die Besucher einiges über die oft vergeblichen Bemühungen der Wiler, die hochstehende St. Galler Leinwand zu konkurrieren. Da half es auch nicht, dass bereits 1458 Abt Ulrich Rösch sich um die Einführung der Textilindustrie in Wil bemühte. Auch weitere Versuche im 17. und 18. Jahrhundert waren nicht von Erfolg gekrönt. Was sich aus dieser Zeit jedoch nicht nur im Gedächtnis, sondern im Alltag erhalten hat, ist der Name jenes Ortes, auf dem die «Wullweber» einst ihre Erzeugnisse Bahn für Bahn auslegten und der Sonne aussetzten: der Bleicheplatz. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte mit der aufkommenden Baumwollweberei die Blütezeit der Wiler Textilindustrie ein. Die Familie Müller gründete 1848 eine Buntweberei gleichen Namens. 1853 wurde beim Friedtal ein neues Fabrikgebäude errichtet, wobei um 1855 herum darin erstmals in der Schweiz mechanische Webstühle aus England aufgestellt wurden. In ihrer Blütezeit beschäftigte die Firma bis zu 300 Arbeitskräfte. Ab 1892 wurde auf die Fabrikation von Filz umgestellt. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts brachte die Stickereiindustrie den eigentlichen Aufschwung des Wiler Textilgewerbes. Als bedeutendste Firma galt die 1896 in Wil ansässig gewordene Reichenbach und Co., welche über 200 Mitarbeiterinnen beschäftigte.

Kinderarbeit war kein Tabu

Positiv ist, dass die Ausstellung im Stadtmuseum – so schön das Thema Textiles an und für sich auch ist – sich nicht nur mit der anspruchsvollen Fertigung und den schönen Designs zum Inhalt hat, sondern auch mit einer weniger strahlenden Facette des Gewerbes auseinandersetzt: der Kinderarbeit. Zwar hatte die Firma Müller bereits vor 1850 verfügt, dass bei ihr keine Kinder unter zwölf Jahren arbeiten durften, doch war dies in Wil eher die Ausnahme denn die Regel. Wie der Kurator des Stadtmuseums und Wiler Stadtarchivar Werner Warth an der Vernissage vom Montagabend erklärte, waren 1908 nicht weniger als 180 von 801 Wiler und 87 von 228 Bronschhofer Schulkinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren erwerbstätig – dies allerdings nicht nur in der Textilindustrie.