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Eisern bis in die Haarspitzen

Dienstag, 10. April 2012

Bei Fussballfan Thomas «Berlino» Dudlitz kennt die Liebe zu seinem Club keine Grenzen. Der Heimweh-Berliner aus Halden scheut keine Kosten und Mühen, um Spiele des 1. FC Union Berlin live mitverfolgen zu können.

CHRISTOF LAMPART

HALDEN. «Berlino» – so tauften ihn die Mitspieler des FC Bischofszell vor knapp drei Jahren auf einer Reise nach Berlin – mag es, anders zu sein. Und so entdeckte er, der in der Plattenbauten-Welt von Marzahn aufwuchs, schon früh sein Herz für Aussenseiter. Tatsächlich war der 1. FC Union Berlin im Berliner Fussball, weder vor, noch nach dem Mauerfall die erste Adresse in der Stadt. Zu DDR-Zeiten dominierte im Osten der BFC Dynamo Berlin, im Westen Hertha BSC Berlin.

Neue Stelle in Bischofszell

Die Liebe eines wahren Fussballfans kühlt nicht einmal bei knapp 900 Kilometern Distanz ab. Seit fünf Jahren arbeitet Thomas Dudlitz mittlerweile in Bischofszell. In Berlin war seine Stelle wegrationalisiert worden. Als ein Stellenangebot aus der Schweiz kam, sagte der Netzelektriker spontan zu. «Ich wollte ja arbeiten und ausserdem einmal was Neues sehen.» Mittlerweile wohnen auch seine Frau und sein erwachsener Sohn in Halden, wo sie sich wohl fühlen. «Die Nachbarn sind nett und die Arbeitskollegen schwer in Ordnung», erzählt Berlino.

Im FC Bischofszell, wo er bei den Veteranen kickt, hat er mit seiner offenen Art rasch Anschluss gefunden. Doch egal, ob er wie früher als Innenverteidiger oder heute als polyvalent einsetzbarer Spieler Verwendung findet, wichtig ist für Berlino nur eines: «Hauptsache, ich muss nicht mehr so viel laufen; das meiste erledige ich mit meiner Technik.»

Engagement ist Ehrensache

Einer Technik, die sich Dudlitz vor Jahrzehnten als Steppke auf den Bolzplätzen angeeignet hat. Immer wieder zieht es ihn dorthin zurück. «Denn Berlin und die Union sind auf ihre Weise beide einmalig», schwärmt er. Tatsächlich: Wo gibt es sonst einen Verein, bei dem die Fans in Fronarbeit das Stadion, die «Alte Försterei», bauen und an Weihnachten zu Tausenden dorthin strömen, um gemeinsam Weihnachtslieder zu singen? Klar opferte auch Berlino damals einen Ferientag, um das Seine zum Stadionneubau beizutragen. Bei einem Verein, der stolz darauf ist, dass seine Sportstätte überwiegend aus Stehplätzen besteht, und dessen Fans eine Leidensfähigkeit mitbringen, wie sie sonst nur noch im Ruhrpott vorkommt, ist das Ehrensache.

Fussball oder Enkelkind

Wer Fan eines solchen Aussenseiters ist, der reist auch regelmässig nach Berlin und in den Süden der Republik, um den Club zu unterstützen. In Karlsruhe war Berlino am vorletzten Wochenende allerdings nicht. Und das war wohl auch gut so, setzte es gegen den Drittletzten der zweiten Bundesliga, den Karlsruher SC, doch eine 0:2-Niederlage. «Wir haben in den letzten Jahren dort nie etwas geholt; warum sollte es diesmal anders sein?»

Eigentlich ein merkwürdiger Einwand eines Mannes, der sich zu den eingefleischten «Eisernen» zählt. Und tatsächlich steckt doch noch mehr hinter dem Reiseverzicht ins Badische. «Ich bin vor wenigen Wochen Grossvater geworden. Da setzt man für einige Zeit die Prioritäten anders.»