Aktuell

<  zurück zur Übersicht

Die schnellste Seilbahn der Welt

Mittwoch, 5. Oktober 2011

175 Jahre alt wird in diesem Jahr die Fatzer AG in Romanshorn. Ein Höhepunkt dieses Jubiläums war die vor wenigen Tagen erfolgte Einweihung der 110 Meter langen Test-Seilbahn sein, mit welcher das Drahtseilwerk in eine neue Dimensionen vorstösst.

CHRISTOF LAMPART

Wenn Bruno Longatti im oberen Stockwerk des Neubaus sitzt, kann er die grosse, rote Tellerscheibe sehen, welche in gut sechs Metern Höhe das Seil umlenkt und wieder in die andere Richtung schickt. Dann lächelt er und ist stolz auf das, was viele in der Firma als Longattis Werk bezeichnen. Einige sprechen von ihm sogar als „Seilbahnvater“. Wenn er dann über diese Seilbahn spricht, welche über drei Masten, 110 Meter Länge und eine Endlosschlaufe von 232 Metern führt, dann fallen Sätze wie „darauf habe ich zehn Jahre gewartet“ oder „damit wird die Entwicklungsdauer unserer Seile stark verkürzt.“  Und wenn er dann noch erzählt, dass die Seile eine Spannkraft von 120 Tonnen aushalten, dann leuchten seine Augen.

Drei Monate statt zwei Jahre

Bruno Longatti leitet bei der Fatzer AG den Bereich Technik und ist somit für die Entwicklung neuer und für die ständige Verbesserung bestehender Produkte verantwortlich. Und mit dieser Seilbahn, welche wohl nie einen Personensessel wohl aber Drahtseile von 40 bis 60 Millimeter Durchmesser transportieren wird, sieht er goldene Zeiten auf den Betrieb zukommen. Denn dadurch, dass die Seilbahn gleich neben dem „Fatzer“-Neubau, dem Werk 2, zu stehen gekommen ist, können die neuesten Entwicklungen gleich vor Ort getestet werden. Die Seilbahn erlaubt es den Romanshorner Seilprofis, die Eigenschaften eines Seiles schon in einem früheren Entwicklungsstadium eingehend zu testen als es bis heute der Fall war. „Bis jetzt haben wir jeweils nur kleine Entwicklungsschritte machen können, um  in Absprache mit dem Kunden eine Seil-Neuentwicklung auf seiner Anlage auf Feldtauglichkeit zu testen. Die endgültige Gewissheit, ob sich das weiter entwickelte Seil wie gewünscht verhält, hatten wir oft erst nach ein bis zwei Jahren, wenn die ersten Rückmeldungen aus Inspektionen oder vom Kunden kamen“, erzählt Longatti. Mit der eigenen Anlage könne man ein Seil nun innert drei Monaten austesten. „Das ist ein echter Vorteil“, schwärmt Longatti. Die in naher Zukunft wohl unter Dauerbetrieb stehende Anlage wird im Freien trotz schnell laufendem Seil als nicht laut empfunden. Zum einen ist der Motor auf einem entkoppelten Fundament in einem separaten Gebäude untergebracht und zum anderen steht das Werk 2 im Gewerbegebiet „Hof“ und der nächste nicht-gewerbliche Nachbar ist mehrere Hundert Meter entfernt.

„Wie im Europapark“

Was die Anlage aber wirklich  speziell macht, ist der Umstand, dass mit ihr Geschwindigkeiten von 18 Meter/Sekunde – das entspricht 64,8 km/h – gefahren werden können. „So etwas gibt es weltweit nicht. Meines Wissens sind die schnellsten Seilbahnen der Welt mit 14 Meter/Sekunden unterwegs“, erklärt Longatti. Doch Zahlen sind Zahlen. Eindrücklich wird das Ganze erst, wenn einem „live“ vor Augen geführt wird, was 18 Meter in der Sekunde tatsächlich bedeuten. Das Seil scheint sich fliessend und in Windeseile vom Auge des Betrachters zu entfernen. Dass es einem bei längerem Hinsehen leicht schwindelt, ist nicht verwunderlich: „Wenn Sie mit einer Seilbahn, die 18 Meter in der Sekunde zurück legt, fahren würden, dann würde sich wie auf einer Freizeitanlage à la Europapark  fühlen“, so Longatti lachend. Und doch sind solche Tempi für die Fatzer AG wichtig, denn mit diesen Geschwindigkeiten  lassen sich neue Erkenntnisse für zukünftige Anforderungen sammeln sowie Materialien auf ihre Haltbarkeit hin testen. Und weil es eine solche Anlage anderswo auf der Welt nicht gibt, „haben wir hier einen Erfahrungsvorsprung und einen echten Wettbewerbsvorteil“, freut sich der „Seilbahnvater“.