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Depressionen: „Diese Leute haben doch keine Ahnung“

Mittwoch, 22. Juni 2011

Die Patientenstelle Ostschweiz organisierte am Montagabend in Weinfelden ein Podium zum Thema Depression. Dabei kamen nicht nur Fachleute, sondern auch zwei Direktbetroffene zu Wort.

CHRISTOF LAMPART

Früher war Mario de Bona beruflich selbständig und ein gesprächiger Typ. Wenn er heute über seine Krankheit spricht, wirkt er „normal“, wütend wird er nur, wenn er sich aufgrund seiner Depression, die sich in Panikattacken äussert (bei diesen hat der Kranke das Gefühl im nächsten Moment sterben zu müssen), als Sozialversicherungsfall, im besten Fall als Kranker, im schlimmsten als „Scheininvalider“ oder „Sozialschmarotzer“ abgestempelt wird. „Diese Leute haben doch keine Ahnung“, sagt er – und sein Blick gleitet vielsagend hinüber zu Daniel Naef, Abteilungsleiter  der IV-Stelle Thurgau.

Gesellschaftlich isoliert

Naef nimmt ebenso an Podium  im „Trauben“ teil, wie zwei Fachärzte und eine weitere Betroffene. Diese heisst Alice Huber, ist 72-jährig und leidet an einer bipolaren Störung. Sie kommt mit ihrer Krankheit ziemlich gut zurecht, ist aber auch schon wegen dem Unverständnis, das Andere gegenüber ihrer Krankheit äussern, gesellschaftlich isoliert gewesen. Dabei gestand sie sich selber jahrelang ihre Krankheit nicht ein. „Mit 30 hatte ich die erste Depression, mit 57 akzeptierte ich diese Tatsache -  aber erst nachdem ich bei der Arbeit komplett zusammen gebrochen war“, so Huber. Seitdem ist sie IV-Rentnerin. Ein Versuch, sie wieder ins Erwerbsleben IV einzugliedern „hat nie stattgefunden“. Dabei wäre sie teilzeitweise durchaus arbeitsfähig gewesen. Vorausgesetzt, der Arbeitgeber hätte der ehemaligen Treuhänderin zugestanden, dass sie voll arbeiten könne, wenn sie sich gut fühle und von der Arbeit weg bleiben könne, wenn sie wieder depressiv gewesen wäre. Daniel Naef bedauerte dieses Schicksal, befand jedoch, dass heutzutage gerade die Thurgauer Firmen „viel unternehmen, um ehemalige Angestellte wieder am Arbeitsplatz zu integrieren.“

20 Prozent sind betroffen

Auch Ulrike Borst, Fachpsychologin und Vertreterin des „Bündnis gegen Depression“, wünschte sich, dass Depressive mehr Unterstützung von ihren Arbeitgebern erhielten. Es  bleibe noch einiges zu tun, damit „nicht nur ehemalige Angestellte, sondern auch andere Depressive wieder von einer Firma angestellt“ würden. „Eine Depression“, so der Leitende Arzt der Akutpsychiatrie in der Klinik Clienia Littenheid, Adrian Suter, „ist behandelbar, aber nicht heilbar; unsere Gesellschaft muss endlich einsehen, dass eine Depression nicht eine Befindlichkeitsstörung, sondern eine echte Erkrankung ist“. Fakt ist, dass depressive Störungen in den letzten Jahren massiv zugenommen haben. Von einer Depression sind rund 20 Prozent der schweizerischen Bevölkerung  - also auch 49‘000 Thurgauerinnen und Thurgauer – mindestens einmal im Leben betroffen.