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Auf die Berge und zum Ball – „Fatzer“ ist fast überall

Mittwoch, 8. Juni 2011

Seit 175 Jahren strebt die Fatzer AG aus Romanshorn im wahrsten Sinne des Wortes „hoch hinaus“. Die weltweit führende Herstellerin von Drahtseilen ist dafür bekannt, dass sie dort Bergbahnen baut, wo kein anderer es wagt. Zum Beispiel in den Anden. Auf 5000 Meter Höhe.

CHRISTOF LAMPART

Bernhard Eicher arbeitet seit 1979 für die Fatzer AG. Damals als Aussendienstmitarbeiter, heute als Geschäftsführer. Er ist also ein Mann, der von der Pike auf ein Handwerk gelernt hat, das es im Grunde genommen gar nicht mehr gibt. Zumindest nicht als Ausbildungsgang. „Meines Wissens werden in der ganzen Schweiz keine Lernenden mehr im Seiler-Beruf ausgebildet“, erklärt er, nach kurzem Nachdenken. Deswegen bildet „Fatzer“ jene Fachleute selber aus, die sie braucht und greift dabei vorzugsweise auf Berufsleute aus der Metallbranche wie Schlosser oder Maschinenmechaniker zurück.

Gefragt durch Spezialisierung

Tatsächlich finden handwerklich geschickte Leute bei der Fatzer AG ein interessantes Betätigungsfeld vor. Wer auf Montage ist, reist viel, denn Bergbahnen gibt es auf der ganzen Welt – und in vielen davon sorgt ein Fatzer-Seil für Sicherheit und Reisekomfort. Denn mit der 1992 erfolgten Eingliederung der „Fatzer AG Drahtseilwerk“ in die „Brugg Ropes Technology Holding Inc.“ kam es zum grossen Wandel im Unternehmen. „Früher haben wir alles gemacht, was  irgendwie mit Drahtseilen zu tun hatte. Seit der Eingliederung konzentrieren wir uns ausschliesslich auf Drahtseile für Bergbahnen“, erläutert Eicher. Diese Konzentration führte dazu, dass man immer besser, spezialisierter wurde, was schliesslich in  fruchtbare Geschäftsbeziehungen mit Drahtseilbahn-Herstellern gipfelte. Und somit auch zu sehr interessanten Projekten.

Alle Seile sind Massanfertigungen

Eines davon ist in Venezuela beheimatet. Im Auftrag des Staates soll die Fatzer AG  als Zulieferer der „Doppelmayr Garaventa Group“ für die 12,5 Kilometer lange „Sistema Teleférico de Mérida“ die Drahtseile liefern. Schon die Länge alleine ist imposant, doch wird diese noch durch die Anforderungen dieses Projektes übertroffen. Alleine die Höhendifferenz zwischen Mérida (1640 Meter über dem Meer) und der Endstation, dem Berggipfel Pico Bolivar (5007 Meter über dem Meer) beträgt 3367 Höhenmeter. Eine solch lange Bergbahn ist nur machbar, wenn sie in vier Sektionen unterteilt wird. Geht die mit 60-Personen-Kabinen ausgestattete Pendelbahn rechtzeitig zum 200. Jahrestag der Befreiung Venezuelas durch Simon Bolivar (1783 bis 1830), im Sommer 2013 in Betrieb, so werden stündlich 350 Personen die Talstation, bzw. den Gipfel erreichen. Und das mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern in der Sekunde. Bernhard Eicher ist von diesem Projekt fasziniert.  Aber das ist er eigentlich von jeder Bergbahn, denn kein Drahtseil gleicht dem anderen. „Das sind alles Massanfertigungen, denn jede Bahn hat ihre Besonderheit.“

„Ein Seil reisst nicht“

Klar, dass in diesem Geschäft die Sicherheit zuerst kommt. Doch deswegen hat Eicher keine schlaflosen Nächte. Im Gegenteil: „Dass ein Seil reisst, ist eigentlich ausgeschlossen, und plötzlich sowieso nicht, denn wenn ein Seil schlecht wird, dann zeigt sich das schon frühzeitig an kleinen, unbedenklichen Ermüdungsbrüchen im Seil und ausserdem fängt es spürbar an zu holpern. Man merkt also frühzeitig, dass irgendetwas nicht mehr stimmt. Und dann haben wir immer noch genug Zeit, um das Drahtseil problemlos auszuwechseln“, weiss Eicher aus jahrzehnterlanger Erfahrung.  Dass trotzdem viele Bergbahnen ihre Seile regelmässig auswechseln, habe eigentlich nichts mit der Sicherheit an sich, sondern vor allem mit der Erhöhung der Kapazitäten zu tun. „Wenn mehr Leute schneller und in grösseren Kabinen befördert werden sollen, dann braucht es halt auch andere Drahtseile“, so Eicher.

Bei der Fussball-WM dabei?

Stillstand ist in dieser Branche nicht möglich. Und so strebt „Fatzer“ nicht nur auf die höchsten Berge, sondern auch immer wieder nach neuen Ufern. So ist die Firma mit ihren Drahtseilen auch in den Stadionbau eingestiegen. Das Olympiastadion im kanadischen Vancouver zum Beispiel, wurde mit Fatzer-Drahtseilen erbaut. Für die Fussballweltmeisterschaft, die 2014 in Brasilien steigen wird, hat „Fatzer“ schon eine Offerte für das Stadion in Rio de Janeiro eingereicht. Kommt es zum Zuschlag, so wird das Drahtseil wohl schon im neuen Romanshorner Werk gedreht werden, das teilweise schon erstellt, teilweise noch im Bau, teilweise noch in der Planung ist. Im rund zwei Kilometer vom Hauptsitz entfernten Neubau sind die Anlagen so platziert, dass ein Fertigungsprozess elegant und zeitsparend unmittelbar an den letzten anschliesst, was am bisherigen Standort, welcher eher organisch, denn geplant gewachsen war, kaum möglich war. Und noch etwas wird am neuen Hauptsitz zu bestaunen sein: eine Testseilbahn. „Da werden wir dann alle unsere Drahtseile testen – mit einer Geschwindigkeit von bis zu 18 Metern in der Sekunde“, freut sich Bernhard Eicher. Doch so toll diese Installation für die Bedürfnisse der Kunden sein wird, so unattraktiv dürfte diese für allfällige freiwillige Benutzer sein. „Bei diesem Tempo würde es einem sofort schlecht werden“, so Eicher.