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Auch ideenlos ganz gehaltvoll

Montag, 13. April 2015

Was ist Kunst und was nicht? Matthias Rüegg liefert in der Kunsthalle Wil keine Antwort auf diese Frage. Doch er zeigt mit der Installation «No idea» auf, wie mühsam der Weg von der verrückten Idee bis zur gültigen Kunstaussage sein kann. CHRISTOF LAMPART

WIL. Wer gegenwärtig die Kunsthalle betritt, findet wenig Platz vor, denn das Parterre wird von einer sperrigen Dachlattenkonstruktion, die im Stil des klassischen Billboards geschaffen wurde, eingenommen. Es ist eine luftige und doch zugleich massive Skulptur, die vordergründig viel von solidem Handwerk, einem feinem Humor und einer gehörigen Portion des Nachdenkens verrät.

Widerspruch wecken

Der in Zürich lebende Künstler hatte für die gut 40 Vernissagebesucher am Samstagabend nicht eine irgendwie versteckte Botschaft parat, sondern er machte sie plakativ öffentlich. Denn rund ums Gestell hat Matthias Rüegg in rund 270 von Hand ausgesägten, hölzernen Buchstaben eine Botschaft auf Englisch hinterlassen, in der er sich beim Publikum nicht nur dafür entschuldigte, für diese Ausstellung keine Idee gehabt zu haben, sondern diese zugleich ultimativ aufforderte, die Ausstellung gleich wieder zu verlassen, stand doch da gleich zu Beginn unmissverständlich: «Please do not visit this exhibition». Zwar verzichtet Rüegg auf Interpunktion, doch auch ohne Punkt und Komma ist klar, dass mit einem solchen Anfang sofort der innere Widerspruch bei den Besuchern geweckt wird. Wohl keine(r) verliess danach sofort das Gebäude. Vielmehr umrundeten alle das klobige Gebilde, das seitlich nur wenig mehr Platz liess, als es brauchte, um nicht mit der Kunst im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur geistig, sondern auch körperlich zusammenzustossen.

Kampf gegen den Zwang

In der Kunsthalle ist also gegenwärtig eine grosse Skulptur zu sehen, die dem eigenen Verständnis nach nicht einmal eine Idee sein sollte. Zweifelsohne eine Koketterie, denn das Englische als Medium weist über lokale Arbeits- und Denkstrukturen hinaus auf ein Problem hin, mit dem alle Kunstschaffenden dieser Welt regelmässig zu kämpfen haben: Wie schaffe ich es, dass mich die Muse küsst und ich meiner Kreativität freien Lauf lassen kann?

Erzwingen lässt sich diese nicht – darauf verwies auch Kunsthalle-Kuratorin Gabrielle Obrist. Und doch wird in Matthias Rüeggs hölzernem «Ringen» gerade dieser künstlerische existenzielle «Kampf» sehr gut nachvollziehbar.

Schlichte "Videoskulpturen"

  • Während sich im Parterre vieles im Kopf der Betrachter abspielt, ist auf der Galerie voll der Künstler am Zug. Den Raum dominieren vier klobige Sperrholzliegen, an deren jeweiligem Ende vier Bildschirme aufgestellt sind, in denen tonlos Videos gezeigt werden: Hände, Tiere, Bäume, Häuser – Detailaufnahmen, die sich einem nicht sofort erschliessen. Tatsächlich zeigen die Videos Dinge, die für Matthias Rüegg einen skulpturalen Gehalt haben. Sie sind nicht spektakulär, sondern schlicht und eher von der Art des «no idea» als das Gestänge im Raum darunter. So verschiebt sich schleichend der ästhetische-formale Begriff dessen, was eine Skulptur auch sein könnte. Manchmal ist es doch gut, wenn man «keine Idee» hat.