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Auch Engel müssen einmal sterben

Montag, 4. Januar 2016

Wohl nicht mehr viele träumen von der einsamen Insel, falls sie die jüngste Produktion der Bühni Wyfelde gesehen haben. Denn «engelhaft» geht es im Agatha-Christie-Klassiker nur im Titel zu und her. CHRISTOF LAMPART

WEINFELDEN. Was 1939 als «Ten little Niggers» erschien und bis dato mit einer Auflage von 100 Millionen der meistverkaufte Krimi Christies ist, entpuppte sich auch am Silvesterabend im Theaterhaus Thurgau unter dem Titel «10 kleine Engelein» und unter der Regie von Eva Mann als zeitlos gute und sehr spannende Unterhaltung. Denn selbst wenn man das Stück schon kannte, so schaffte es doch das Ensemble, im Verlaufe des Abends eine Gänsehaut-Atmosphäre unter den Zuschauerinnen und Zuschauern zu verbreiten.

Zunehmend spannend

Zehn Personen unterschiedlicher Herkunft werden mittels Einladung auf eine von der Aussenwelt isolierte Insel gelockt. Nach und nach werden sie dort vom unsichtbaren Gastgeber mit ihren dunklen Geheimnissen konfrontiert und – eine(r) nach dem anderen umgebracht. Konfrontiert sah sich das Publikum anfänglich auch mit einem Ensemble, das sich «warm spielen» musste. Doch die Nervosität verflog rasch. Dies zum einen, weil die Rollen der sicheren schauspielerischen «Werte» wie Heinz Wiederkehr (als scharfsinniger Sir Lawrence Wargrave), Thomas Götz (als geheimnisvoller William Blore) oder Benjamin Heutschi (als abenteuerlustiger Captain Philip Lombard) storybedingt im Verlaufe des Abends immer mehr Platz einnahmen. Und zum anderen auch, weil im wunderbar altmodisch-schrullig wirkenden Wohnzimmer die Spannung ebenso rasant wuchs wie die Zahl der Protagonisten abnahm: zeitweise im Minutentakt. Ja, im zweiten Akt sah man begeistert dem mörderischen Treiben zu und – ertappte sich schon einmal beim Gedanken, wie man es wohl selbst angestellt hätte.

Her mit dem Strick!

Auch wenn das Stück in einer Villa spielt und der Anlass eine Wochenend-Einladung ist – das Ambiente, welches das weit in den Raum hineinragende Bühnenbild (Peter Affeltranger) ausstrahlt, atmet Zerfall und keine Festlichkeit. Mondän ist hier nichts. Die schäbige Cocktailbar war 1939 schon alt, die Sessel durchgesessen, das englische Essen mies – so dass man fast freiwillig zum Strick griffe, sässe man hier länger unfreiwillig fest. Für die Kostüme (Natalie Péclard) gilt dasselbe wie für die Villa-Ausstattung. Dass einige Personen wie der Butler Rogers (herrlich blasiert-pflichterfüllt Thomas Grampp) oder die prinzipientreue Lady Emily Brent (mal kühl, mal nörgelnd, Eliane Novelli) am Status Quo festhalten, obwohl zunehmend alles den Bach hinuntergeht, verstärkt in dieser Inszenierung den Eindruck, hier nicht nur geographisch am Ende der Welt angekommen zu sein, sondern auch physisch.

Maja Rahm spielte die innerlich zerrissene Vera Claythorne hervorragend. Kurt Lauper mimte den in seiner eigenen Gedankenwelt gefangenen, greisen General Mackenzie ebenso überzeugend, wie dies auch auf ihre Art Bruno Höck (als rechthaberischer Dr. Armstrong), Beni Manser (als gedankenloser Playboy Anthony Marston) und Loretta Giacopuzzi Schätti (als pflichtbewusste Mrs. Rogers) taten.