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"Als würde ich schweben"

Mittwoch, 11. Januar 2017

AUSNAHMETALENT AUS DEM THURGAU ⋅ Der 16-jährige Oktay Duman aus Sulgen unterscheidet sich beträchtlich von den meisten Gleichaltrigen. Denn der Türke christlichen Glaubens ist als Pianist Autodidakt und Naturtalent zugleich.

 

Christof Lampart

Als Ende November das Konzert der Preisträger des Musikwett­bewerbes Thurgau stattfand, befand sich unter jenen, die einen 1. Preis mit Auszeichnung erhielten, auch Oktay Duman. Dass er vom begeisterten Publikum für sein virtuos-elegantes Spiel grossen Applaus entgegennehmen durfte, kam dem scheuen Teenager, wie er im Anschluss an die Gala verriet, «ziemlich unwirklich» vor. Doch diese Aussage erstaunt niemanden, der seinen musikalischen Werdegang kennt.

Als Christen waren sie Bürger zweiter Klasse

Aufgewachsen in einer türkischen Kleinstadt am Ägäischen Meer, setzte sich Oktay Duman erstmals im Alter von neun Jahren an ein Klavier. «Ich habe mir fast alles selbst beigebracht. Am Klavier zu sitzen, bereichert mein Leben», erklärt er. Die Musik war für den Jungen Weltflucht aus dem tristen Alltag, denn als Angehörige der christlichen Minderheit in der Türkei sah sich Oktays Familie fortgesetzt staatlichen Repressalien ausgesetzt. Sie waren allerhöchstens geduldet, nicht aber willkommen und somit Bürger zweiter Klasse. 2013 reiste die Familie Duman in die Schweiz aus und lebte fortan in Sulgen. Dort erhielt Oktay bei einer Nachbarin ein wenig Klavierunterricht. Doch sie bemerkte schon bald sein aussergewöhnliches Talent.

Oktay brachte von Anfang an eine sehr hohe Leistungsbereitschaft mit. Sie zeigte sich darin, dass er nicht nur mehrere Stunden täglich übte, sondern zugleich schulische Topleistungen erbrachte. So schaffte er, der bei seiner Ankunft in der Schweiz kein Wort Deutsch sprach, im Winter 2015 bravourös die Aufnahmeprüfung an der Kantonsschule, womit er nun im Sommer 2017 ohne Aufnahmeprüfung an der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen anfangen kann. Dort wird er in der Kunst- und Sportklasse weiter als Musiker gefördert. Was auch seine bis­herige Klavierlehrerin, Elisabeth Tanner, die an der Musikschule Weinfelden unterrichtet, sehr begrüsst: «Oktay ist sehr wiss­begierig und macht extrem schnell Fortschritte. Er hat es absolut verdient, gefördert zu werden», so die Pädagogin. Tatsächlich ist es erst wenige Monate her, dass sie ihren Schützling Elementares lehrte, wie Oktay selber weiss: «Elisabeth hat mir Dinge beigebracht, von denen ich als Auto­didakt keine Ahnung hatte: Ich lernte, wie man richtig auf dem Hocker sitzt, die Füsse posi­tioniert und mit dem ganzen Gewicht spielt.»

Ein Dankeschön an Rotary

Doch das alles wäre nicht möglich gewesen, hätten nicht Dritte Oktays musikalisches Fortkommen massgeblich mitfinanziert. Denn die Familie hätte ihrem Spross den benötigten Klavierunterricht nicht bezahlen können. Da traf es sich gut, dass der Leiter der Musikschule Wein­felden, Andreas Schweizer, den Kontakt zur Rotary-Organisation ROKJ (Rotary für Kinder und Jugendliche) herstellte. ROKJ setzt sich für die Integration und Unterstützung von wirtschaftlich und sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen ein und hilft ihnen, ihr Potenzial und ihre Talente zu entwickeln und sich voll in die Gesellschaft zu integrieren. Seit der Gründung 2008 hat ROKJ 2,3 Millionen Franken in über 3500 bewilligte Gesuche investiert. Eines davon sind nun Oktay Dumans Klavierstunden. «Ich bin für diese Unterstützung sehr, sehr dankbar, denn sie ermöglicht es mir, meinen Weg weiterzugehen.»

Wenn er nicht gerade an seinem Instrument sitzt, geht Oktay gerne schwimmen oder lernt Sprachen – und doch können diese Hobbys bei weitem nicht mehr mit seiner Passion fürs Piano mithalten.

Dort hilft auch modernste Technologie. Auf Youtube schaut er immer wieder bekannten Pianisten zu, kopiert ihre Technik, lernt dazu. Als Stück hat es ihm gegenwärtig Schuberts Impromptu in As-Dur angetan. Auch Mozart zählt zu seinen Favoriten: «Wenn ich Mozart spiele, ist es, als würde ich schweben», schwärmt das Jungtalent. Nur mit seinem früheren Instrument hat Oktay abgeschlossen: «Ich habe einst Euphonium gespielt, aber da war ich nicht so gut.» Und lächelt verschmitzt.