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Als der Saal ein «Leuchtturm» war

Freitag, 15. April 2011

Zweiter Teil der «Bodan»-Geschichte: Wirt Ernst Arnold Züllig brachte die Wende zum Guten. Während drei Jahrzehnten liess er bei jeder Gelegenheit lange und laut feiern. Alleine in der Sommersaison 1960 kamen rund 20 000 Gäste aus der ganzen Ostschweiz in den «Bodan».

Romanshorn. Als am 24. September 1938 der Bodansaal eröffnet wird, schwebt gewissermassen ein Damoklesschwert über Romanshorn. Die 150 000 Franken, die der Saal zu viel gekostet hat, werde man rasch wieder hereinholen, glaubt man. Die Rede ist von nationalen Tagungen und internationalen Kongressen.

Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Und auf einmal ist es vorbei mit den Einnahmen und der erträumten Herrlichkeit. Denn im vom Krieg zerrütteten Europa denkt man wohl an vieles, aber kaum an Tagungen in Romanshorn. Viele Handwerker sehen ihr in Form von Anteilscheinen eingeschossenes Geld nicht wieder. Mehr noch: das Betriebsdefizit wächst in den ersten fünf Jahren auf beinahe 50 000 Franken an. Retter in der Not ist das Wasser- und Elektrizitätswerk Romanshorn, welches den Betrieb saniert.

Jekami mit Paola und Kliby

Die Wende zum Guten bringt – unverhofft kommt oft – der erst 28jährige Egnacher Ernst Arnold Züllig. Heute lässt sich sagen, dass es alleine der Tatkraft jenes gelernten Kochs und seiner Gattin Martha zu verdanken war, dass der Saalbau endlich zu dem wurde, was viele Romanshorner sich schon lange von ihm erhofft hatten: ein (Kultur-)«Leuchtturm», der von Romanshorn aus nicht nur in die erweiterte Region, sondern in die ganze Schweiz ausstrahlte. Romanshorn war wieder wer – und das war das Verdienst von E. A. Züllig, wie ihn alle nannten.

Züllig begründet im Bodan-Saal die Epoche der legendären Fasnachtsbälle und führt das originelle Jekami (Jeder kann mitmachen) ein. Junge Künstler wie der singende St. Galler Teenager Paola oder Bauchredner Kliby mit seiner Caroline kommen mittwochabends regelmässig in den «Bodan», um sich einem grösseren Publikum vorzustellen. Züllig lässt bei jeglicher Gelegenheit gerne lange und laut feiern. Und das volle 32 Jahre lang.

«Einkauf» in der Dunkelheit

Doch der Anfang ist schwer. Einer von E. A. Zülligs Söhnen, der 1958 geborene Andreas, der heute selbst das Hotel Schweizerhof in Lenzerheide führt, erinnert sich an vieles, was ihm seine verstorbenen Eltern einst erzählten: «Laut ihren Schilderungen übernahmen sie den "Bodan" am 30. September 1942 in einem desolaten Zustand.» Die Lebensmittelmarken seien grösstenteils abgelaufen und die Kohle- und Lebensmittellager leer gewesen.

Da habe es seinem Vater geholfen, dass er die Bauern in der Umgebung von seiner Jugend her kannte. «In der Dunkelheit ging er mit dem Velo, natürlich ohne Lebensmittelkarten, zum  "Einkaufen". Einmal konnte er ein halbes Schwein erstehen. Da man von aussen in die Hotelküche schauen konnte, nahm er das Schwein mit ins Büro und fing an, es in seine Teile zu zerlegen. Meine Mutter wusste von nichts und nahm einen Gast mit ins Büro. Zum Glück war es einer, der nicht gleich zur Polizei lief, um meinen Vater wegen Schwarzhandels anzuzeigen», berichtet Andreas Züllig.

Mit Sonderzügen nach Hause

Nach dem Krieg geht es mit der Wirtschaft rasch aufwärts. Mit Sonderschiffen wird die leidende deutsche Bevölkerung zu einer Fahrt über den Bodensee eingeladen. Zum Zvieri dürfen alle im «Bodan» einkehren. Da es im Hotel jedoch nur edles Silberbesteck gibt und die Zülligs Angst vor Diebstahl haben, kaufen sie flugs Aluminiumbesteck für diese Anlässe ein.

Richtig in Schwung kommt das Geschäft mit dem «Bodan» in der Zeit des ungebremsten Wirtschaftswachstums, den 1950er- und 1960er-Jahren. Viele Firmen wollen ihren Mitarbeitern etwas Besonderes bieten. Sie organisieren «Fahrten ins Blaue» Richtung Bodensee – und zwar in Sonderzügen der SBB, die mit 800 bis 1000 Personen gefüllt sind! Nach einer Schifffahrt geht es in den Bodansaal zum Nachtessen mit Unterhaltung. Diese Anlässe dauern meist bis weit nach Mitternacht. Ein Sonderzug bringt dann die Feiernden gegen 2 Uhr nach Hause.

Schiessen nur auf Befehl

Legendär sind auch die Masken- und Kinderbälle im Bodansaal. An die letzteren hat Andreas Züllig positive Erinnerungen – auch wenn der damalige «Drill» aus heutiger Sicht ein wenig befremdet. «Schreckschusspistolen waren erlaubt. Geknallt wurde aber nur alle halbe Stunde auf Befehl meines Vaters. Dieser hatte den ganzen von der Bühne aus im Griff. In militärischem Ton wurde am Anfang des Anlasses bekannt gegeben, was, wann und wie erlaubt war oder eben nicht.»

Doch auch von den Maskenbällen am Abend profitiert der Junge, obwohl er ihnen aus Altersgründen nicht beiwohnen darf: «Am nächsten Tag durfte ich die unter dem Bodansaal reinigen und aufräumen. Ich habe das sehr gerne gemacht, fand ich doch immer wieder Münzen. Scheinbar hatten die Gäste zu später Stunde, unter Alkoholeinfluss, beim Bezahlen Mühe, das Kleingeld im Griff zu haben. Ich konnte so mein Taschengeld aufbessern.»

Staunen über Farbfernseher

Doch es finden auch andere, weniger kommerzielle Anlässe wie die jährliche Chüngeli-Ausstellung oder die Weihnachtsausstellung statt. An letzterer präsentieren die Gewerbetreibenden des Dorfes, was der letzte modische oder technologische Schrei ist. So sehen viele Romanshorner an einem Stand von Radio & Fernsehen Tschümperlin den ersten Farbfernseher ihres Lebens. Das Bild ist schlecht, der Andrang bei den Vorführungen gross.

An Silvester – jeweils einer der «Bodan»-Höhepunkte im Winter – werden bis zu 600 Gäste verpflegt und unterhalten. Zum Abschluss gibt es um 4 Uhr morgens, nach einer Polonaise durchs ganze Hotel, in der Küche Mehlsuppe mit Wienerli und Brot.

Bobby, Max und Moritz

Während den Sommermonaten ist jahrelang das Trio «Bobby, Max und Moritz» zu Gast im «Bodan». Im Vertrag ist geregelt, dass das Trio täglich von 20.15 bis 23.30 Uhr und am Sonntag von 16 bis 18 Uhr spielt. Max und Moritz erhalten zu jeder Mahlzeit je zwei (!) Essen, Bobby eines. Die Gage beträgt 150 Franken je Tag und 25 Franken für Überstunden. Der umtriebige E. A. Züllig macht damit ein gutes Geschäft, kommen doch alleine in der Sommersaison 1960 rund 20 000 Gäste aus der ganzen Ostschweiz in den «Bodan». Der Eintritt beträgt 55 Rappen an den Wochentagen, 1.10 Franken am Sonntagabend und 1.65 am Samstagabend. Kein Wunder, gibt es regelmässig Probleme wegen Nachtruhestörungen – denn die direkten Nachbarn haben nicht so viel Freude an der guten Stimmung im Bodansaal.

Anfangs der Siebzigerjahre reitet der «Bodan» auf der Popwelle mit: Auftritte von Bands wie Les Sauterelles um Toni Vescoli lockt die Jugend der Beat-Generation in den «Bodan». Der Höhepunkt der Beatwelle ist erreicht, als die bekannte Fernsehsendung The Beat-Club im Bodansaal gastiert. Dass das Fernsehen nach Romanshorn kommt, ist eine Sensation. Doch schon bald danach endet die Ära E. A. Züllig – und zwar genau so, wie sie angefangen hat, nämlich an einem 30. September, dem Geburtstag von Ernst Arnold, ziehen seine Frau und er sich 1974 ins Privatleben zurück.

Langsamer, steter Niedergang

Danach setzt ein mittlerweile dreieinhalb Jahrzehnte dauernder, schleichender Niedergang des «Bodans» ein. Auch Bauchredner Roli Berner hat nach der Übernahme zusammen mit drei Partnern Ende der 1990er-Jahre wenig zu lachen. Stets seien ihm «Knüppel zwischen die Beine» geworfen worden – und zwar von Einheimischen, welche alles mit der Ära E. A. Züllig verglichen hätten, erinnert sich Berner. Dabei sei Züllig nicht nur ein glänzender Geschäftsmann gewesen, sondern habe den «Bodan» auch ausbluten lassen, indem er nur sehr wenig in die Infrastruktur investiert habe.

Eine Zukunft gibt Berner dem heutigen «Bodan»-Gebäude nicht: «Ich würde das Ganze abreissen und neu bauen, denn die Substanz des Hauses ist sehr schlecht.»

Verfasser der Geschichte des Hotels Bodan und des Bodansaals ist Journalist Christof Lampart. Die Thurgauer Zeitung hat die Geschichte zusammengefasst und in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil erschien am 13. April.

Link: www.tagblatt.ch/ostschweiz/t...