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150 Marathons in 10 Jahren gerannt

Sonntag, 7. Juni 2015

BISCHOFSZELL. Der Arzt empfahl Otto Götsch vor zehn Jahren, mit Jogging zu beginnen. Daraus ist eine Sucht geworden, die den Bischofszeller um die ganze Welt geführt hat. Bald wird der 69-Jährige seinen 150. Marathonlauf bestreiten. CHRISTOF LAMPART

Otto Götsch ist das lebende Beispiel dafür, dass es nie zu spät ist, um mit Sport zu beginnen. «Gewandert bin ich schon immer gerne, aber Sport im eigentlichen Sinne habe ich zuvor nie betrieben», sagt Götsch, der wöchentlich 60 bis 70 Kilometer trainingshalber läuft, um in Form zu bleiben.

Auf den Körper achten

Hört man Götsch zu, der früher als Entwicklungshelfer für Helvetas in Kamerun und Sri Lanka tätig war, fällt auf, dass er strukturiert erzählt. Genauso verhält er sich auch in den Rennen. «Ich achte sorgsam auf meinen Körper und schlage stets mein eigenes Tempo an», erzählt er. Das mag unspektakulär klingen, doch hat ihn dieses Verhalten nicht nur alle Major Marathons (Tokio, Boston, London, Berlin, Chicago und New York) erfolgreich absolvieren lassen, sondern auch extreme Ausdauerrennen wie den Halbmarathon Pikes Peak Ascent im Schneesturm von Colorado, den Polar Circle Marathon auf Grönland bei minus 20 Grad oder den 89,280 Kilometer langen Ultramarathon Comrades in Südafrika.

Spezielle Art der Besichtigung

Bei seiner ersten Teilnahme liess Götsch im Jahr 2010 als 4690. aller Finisher immerhin 68 Prozent der Konkurrenten hinter sich. Am vergangenen Sonntag startete er zum zweitenmal in Durban (Südafrika). Götsch geht es weniger um das Ausloten der eigenen Grenzen als vielmehr darum, sich im Gleichklang mit der Natur zu bewegen sowie Land und Leute zu erleben.

Dies ist auch ein Grund dafür, weshalb es vorkommen kann, dass Götsch drei bis vier Marathons in einem Monat bestreitet. «Ich könnte, auf ein einzelnes Rennen bezogen, eigentlich immer schneller laufen. Aber wenn man wie ich nur ein wenig zurücksteckt, dann erholt sich der Körper wesentlich schneller von den Strapazen. Wenn ich einen Marathon bewusst zehn Minuten langsamer laufe, dann macht das extrem viel aus.»

Was Götsch an diesem Sport reizt, das ist die Gelegenheit, die Umgebung intensiv wahrzunehmen. «Ich absolviere in den Städten die besten Besichtigungen, sehe ich doch sehr viel, und das in einem Tempo, das ich selbst bestimme», erklärt Götsch und lacht. Eine besondere Stimmung nahm er beim Grönland-Marathon wahr. «Wir waren 61 Personen am Start, was dazu führte, dass man schon bald ganz alleine lief. Ausser dem Knirschen des Schnees unter den Schuhen war nichts zu hören und auch keine Menschenseele zu sehen.»

Es sind sehr viele Läufe, die Otto Götsch mittlerweile in den Beinen hat. Am 4. Mai lief er im nordirischen Belfast bereits seinen 147. Marathon. Und jährlich kommen jeweils rund tausend weitere Rennkilometer hinzu.

Einmal kurz nach Neuseeland fliegen, um dort eine Runde zu laufen? Warum nicht! Dass man da auf dem Hinweg noch in Bangkok und auf dem Rückweg in Singapur haltmacht, um je noch einmal 42,195 Kilometer per pedes und im Renndress zurückzulegen, versteht sich beim laufverrückten Bischofszeller Senior fast von selbst.

Hundebiss in die Wade

Aufgegeben hat Götsch noch nie, wohl aber zuweilen daran gedacht. Dann, wenn ein verhärteter Muskel zu sehr schmerzte oder ein Schneesturm ihm so die Sicht raubte, «dass ich gar nicht sah, wo das Ziel genau lag». Richtig gefährlich sei es nie geworden, wohl aber einmal im Training in Costa Rica. «Als zwei scharfe Hunde aus einem Haus gerannt kamen, machte ich kehrt und lief, denn mir war klar, dass die beiden nicht einfach so ablassen würden.» Ein Hund verbiss sich in Götschs Wade. «Ich lief weiter, und auf einmal liess er los. Danach verschwanden die Tiere wieder im Haus.»

Sich beim Hundebesitzer zu beschweren, kam dem Athleten nicht in den Sinn. «Von meiner Zeit als Entwicklungshelfer weiss ich genau, wann man reklamieren kann und wann man es besser sein lassen sollte.» Götsch tat deshalb das, was er am besten kann: Er lief noch eine Extrarunde, denn «so erreichte ich, dass die Wunde noch ein bisschen weiter ausblutete, was für die Heilung sicherlich gut war».